Flucht aus Lager 14
Ahnung«, erzählte er mir. Er sei von der Armee desertiert, um sich freiwillig in »ein gigantisches, wahnsinniges Gefängnis« zu begeben.
Als amerikanischer Deserteur war Jenkins allerdings weitaus mehr als ein Gefangener. Die nordkoreanische Regierung machte aus ihm einen Schauspieler, der ein ums andere Mal den bösen Weißen verkörperte in Propagandafilmen, in denen die Vereinigten Staaten dämonisiert wurden.
Auch gaben ihm Mitarbeiter der Geheimdienste eine junge Japanerin und forderten ihn auf, sie zu vergewaltigen. Sie war am 12. August 1978 aus ihrem Heimatort in Japan entführt worden im Rahmen einer lange vorbereiteten und lange geheim gehaltenen nordkoreanischen Operation, bei der junge Japanerinnen aus Ortschaften an der japanischen Küste aufgegriffen wurden. Drei nordkoreanische Agenten überwältigten sie in der Abenddämmerung in der Nähe des Strands, packten sie in einen Sack und verschleppten sie auf ein Schiff.
Doch die junge Frau namens Hitomi Soga verliebte sich am Ende in Jenkins. Sie heirateten und zogen zwei Töchter groß, die beide auf eine Schule in Pjöngjang gingen, auf der mehrsprachige Spione ausgebildet werden.
Der Anfang vom Ende der seltsamen Abenteuer von Jenkins in Nordkorea wurde eingeläutet, als der japanische Ministerpräsident Junichiro Koizumi zu einer außergewöhnlichen Begegnung mit Kim Jong Il nach Pjöngjang flog. Während jenes Besuchs 2002 räumte Kim gegenüber Koizumi ein, dass seine Agenten in den 1970er und 1980er Jahren 13 japanische Zivilpersonen entführt hatten, darunter auch Jenkin s ’ spätere Frau Hitomi. Ihr wurde umgehend erlaubt, zusammen mit Koizumi nach Japan zurückzufliegen. Nachdem der japanische Ministerpräsident 2004 ein zweites Mal Nordkorea besuchte hatte, durften auch Jenkins und seine Töchter das Land verlassen.
Als ich Jenkins interviewte, wohnten er und seine Familie auf der abgelegenen japanischen Insel Sado, wo seine Frau geboren und später von den nordkoreanischen Agenten entführt worden war.
Während der Jahrzehnte, die er in Nordkorea verbracht hatte, besaß Jenkins ein Haus auf dem Land und bearbeitete dort einen großen Garten, dessen Produkte zur Ernährung der Familie beitrugen. Darüber hinaus erhielt er einen monatlichen Betrag von der Regierung – ausreichend, um sicherzustellen, dass sie von der Hungersnot nicht betroffen waren. Dennoch mussten er und der Rest der Familie diebische Nachbarn und umherstreifende Soldaten vertreiben, wollten sie überleben.
»Es wurde für uns zur Gewohnheit, in der Zeit, als der Mais reifte, nachts Wachen aufzustellen, weil die Armee uns die Felder sonst abgeräumt hätte«, schrieb er in seinem Buch.
Die Diebstähle erreichten mit der Hungersnot in den neunziger Jahren ihren Höhepunkt, als Banden obdachloser Jugendlicher – darunter viele Waisen – begannen, sich in der Nähe der Bahnhöfe in den Großstädten wie Kilju, Hamhung und Chongjin zu sammeln. Ihr Verhalten und ihre Verzweiflung hat die Journalistin Barbara Demick in ihrem Buch Nothing to Envy. Ordinary Lives in North Korea (Nicht zu beneiden. Gewöhnliche Leben in Nordkorea) festgehalten, das die Lage der einfachen Nordkoreaner in den Jahren der Hungersnot beschreibt.
In diesem Buch wird beispielsweise geschildert, wie auf dem Bahnhof von Chongjin Kinder Reisenden Snacks aus der Hand reißen. Bei ihren Aktionen gingen sie oft im Team vor: Die Größeren gaben einem Imbissstand einen Tritt und rannten davon, was deren Inhaber dazu verleitete, sie zu verfolgen. Daraufhin schnappten sich die jüngeren Kinder alles, was an Essbarem auf den Boden gefallen war. Oder sie nahmen angespitzte Stecken und bohrten damit Löcher in Getreidesäcke auf langsam fahrenden Güterzügen und Lastwagen. 28
Während der Hungersnot ging das Personal des Bahnhofs regelmäßig mit einem Leiterwagen über das Bahnhofsgelände und sammelte die Hungertoten ein, schreibt Demick. Es gab überall Gerüchte von Kannibalismus, und es wurde sogar behauptet, dass Leute am Bahnhof herumlungernde Kinder unter Drogen gesetzt, getötet und geschlachtet hätten, um an Fleisch zu kommen.
Obwohl dies vielfach nur Gerüchte gewesen sein dürften, gelangte Demick zu dem Schluss, dass solche Fälle tatsächlich vorgekommen waren: »Aus meinen Interviews mit Flüchtlingen ergab sich, dass es mindestens zwei Fälle gegeben hat … in denen Menschen wegen Kannibalismus verhaftet und erschossen wurden.«
Als Shin im Januar 2005 in Kilju hängen blieb, war
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