Flucht aus Oxford
gut.«
»Zu diesem Kurzhaarschnitt musst du unbedingt Ohrringe tragen«, wandte sie sich an Kate. »Und wenn du das nächste Mal zum Friseur gehst, solltest du etwas an deiner Haarfarbe tun.«
»Ja, Mami«, sagte Kate.
»Nenn mich bloß nicht so! Mein Name ist Roz.«
»Dein Name ist Rosemary.«
»Und du heißt Katharine. Friede?«
»Friede.«
»Gut. Und wo ist jetzt dieses hübsche, teure Schuhgeschäft?«
Am frühen Nachmittag waren sie wieder in Crossways Cottage, doch sie hatten beide nur wenig Hunger; die französischen Teilchen und der italienische Kaffee hielten noch vor.
»Höchstens ein paar Rühreier«, sagte Roz und ließ die Tüten auf den Boden fallen. »Hast du Obst im Haus? Oder vielleicht eine Suppe?«
»Du bleibst sitzen«, befahl Kate überflüssigerweise. »Ich mache uns eine Kleinigkeit.«
Und zum ersten Mal seit sie ihr Haus in Oxford verlassen hatte, öffnete sie den Kühlschrank und stellte die Zutaten für einen kleinen Imbiss zusammen. Sie hackte, briet und fügte Sahne hinzu. Dann schob sie etwas in den Ofen und hackte noch mehr.
»So!«, verkündete sie. Sie setzten sich an Callies Küchentisch und genossen die frisch gemachte Suppe und warmes Ciabattabrot.
»Ich glaube, ich habe endlich die Kurve gekriegt«, sagte Kate zu ihrer Mutter, als sie beim Kaffee saßen.
»Ich fühle mich wirklich besser«, fügte sie hinzu, während sie die neue Bluse in den Schrank hängte, den neuen Pullover faltete und verstaute und die neuen Ohrringe anprobierte. In ihren neuen, unpraktischen Schuhen polterte sie die Treppe hinunter und erklärte: »Dieser kleine Ausflug war genau das, was ich brauchte. Danke, Roz.«
Im Pfarrhaus machte sich Tim Widdows derweil einen starken Tee – nicht etwa aus Teebeuteln, sondern richtig aufgebrüht aus dunklen Teeblättern, die er sechs Minuten ziehen ließ. Er legte die Hände um den Becher, um sie zu wärmen, und versuchte zu vergessen, was er an diesem Morgen gesehen hatte.
Manche Leute mochten denken, dass Pfarrer – ebenso wie Polizisten oder Ärzte – ohnehin mit allen Wassern gewaschen waren und dass nichts sie aus der Bahn werfen konnte. Oberflächlich betrachtet stimmte das natürlich, aber später, wenn er dann allein war, ging es ihm wie jedem anderen Menschen, den man gerade gebeten hatte, eine Leiche zu identifizieren.
Eigentlich sollte er jetzt in der Kirche sein und beten. Später, sagte er sich. Wenn er den Tee getrunken und sich ein wenig beruhigt hatte, würde er in die behäbige normannische Kirche hinübergehen und um Trost bitten – Trost für sich selbst und alle anderen, die unter diesem Tod leiden mochten.
Auf den ersten Blick schien Gatt’s Hill ein ganz gewöhnliches englisches Dorf zu sein, doch unter der Oberfläche musste es Dinge geben, die so hässlich waren wie das, was auf den Straßen der Großstadt geschah. Vielleicht sogar schlimmer, dachte er. Hier geschahen sie im Dunkeln, hier gärten und potenzierten sie sich, bis sie schließlich ans Tageslicht drangen.
Tim Widdows trank einen weiteren Schluck Tee und widerstand der Versuchung, einen guten Schuss Whisky hinzuzufügen. Es war nicht der Glaube an die teuflische Wirkung des Alkohols, der ihn abhielt, sondern das Wissen, dass Emma Hope-Stanhope seine Whiskyfahne riechen und missbilligen würde, wenn er sich mit ihr und den anderen vom Kirchenvorstand später am Abend traf.
8
Kurz nach halb zehn hatte im Pfarrhaus das Telefon geklingelt, und Tim Widdows nahm ab, ohne an eine Tragödie zu denken.
»Hier ist Hazel Fuller von Gatts Farm.«
Sofort bemerkte er, dass die Frau außer sich war. »Was ist los?«, fragte er. »Kann ich irgendwie helfen?« Seine Antwort kam spontan und völlig natürlich.
»Kommen Sie bitte so schnell wie möglich«, drängte sie. »Es ist schrecklich. Einfach schrecklich. Den Krankenwagen und die Polizei habe ich schon angerufen, und Dr. Bates ist auf dem Weg.«
Tim bekämpfte den Impuls, ihr zu sagen, dass es dann ja schon ziemlich voll bei ihr wäre, was ihm aber angesichts ihrer offenkundigen Qual nicht angemessen erschien. »Was ist denn passiert?«, fragte er.
»Ich weiß nicht! Ich weiß nicht, wie so etwas ausgerechnet hier geschehen konnte«, platzte sie heraus. Tim konnte geradezu hören, wie sie um Fassung rang. Es fiel ihm schwer, sich die immer makellos zurechtgemachte Hazel Fuller bei einem Gefühlsausbruch vorzustellen.
»Und was kann ich für Sie tun?«, fragte er. Hazel war ihm noch nie sonderlich fromm
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