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Flucht aus Oxford

Titel: Flucht aus Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Stallwood
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vorgekommen.
    »Kommen Sie einfach nur. Bitte!« Mit diesen Worten legte sie auf.
    Also schnappte sich Tim seinen schwarzen Anorak, schlüpfte in seine ausgetretenen Reeboks und lief den Hügel hinunter zu Gatts Farm Antiques .
    Vor dem Anwesen parkten viele schwarze Autos und ein weißer Krankenwagen, dessen Blaulicht flackerte. Tim hatte das Haus noch nicht erreicht, da schaltete jemand das Blaulicht ab, als ob keine Eile mehr geboten wäre. In diesem Augenblick dachte Tim zum ersten Mal an den Tod. Ob Hazels Ehemann Derek etwas passiert war? Oder ihrem Sohn Anthony? Und warum hatte man die Polizei gerufen?
    Vor dem Tor des ehemaligen Bauernhofs befand sich eine ovale Rasenfläche, wie ein kleiner Park, wo sich die Dorfbewohner versammelt hatten und mit zusammengesteckten Köpfen die Neuigkeiten austauschten.
    »Wissen Sie, was da los ist, Herr Pfarrer?«, wurde Tim gefragt.
    »Leider nein«, antwortete er, ohne sich auch nur die Zeit zu nehmen, »Nennen Sie mich Tim« zu sagen. Die Dörfler, etwa ein Dutzend, standen ihm im Weg und bremsten seinen Lauf.
    »Ich würde mich nicht wundern, wenn er ermordet worden ist«, äußerte ein Anwesender genüsslich.
    »Vielleicht die Mafia oder so«, sagte ein anderer.
    »Ich habe immer schon vermutet, dass er irgendwelche riskanten Geschäfte macht«, ließ sich ein Dritter vernehmen.
    »Bitte, mir sagen, was geschehen«, erklang eine Stimme hinter Tims Schulter. Wahrscheinlich gehörte sie einem der ausländischen Kellner aus dem Pub.
    »Ich weiß selbst noch nichts«, antwortete Tim und versuchte, eine gleichermaßen ernste wie mitfühlende Miene aufzusetzen. Hoffentlich zeigte sein Gesicht nicht den gierigen, geierartigen Ausdruck, den er bei den anderen Umstehenden sah. »Wenn Sie mich jetzt bitte durchlassen würden? Ich werde mich bemühen, es für Sie herauszufinden.«
    »Angeblich konnte man ihr Schreien bis hinauf zur Kirche hören«, berichtete eine Frau mit einer roten Wollmütze.
    »Das stimmt auf keinen Fall«, erklärte Tim mit fester Stimme und bahnte sich einen Weg über die letzten Meter Rasen. »Dann hätte ich es mit Sicherheit gehört. Und bis zu Mrs Fullers Anruf habe ich nichts gehört.« Dabei fragte er sich, auf welches weibliche Wesen sich die Aussage der Frau beziehen könnte.
    »Der Kerl hat ja geradezu darum gebettelt«, sagte ein anderer frommer Kirchgänger.
    »Vermutlich waren sie hinter seiner Knete her«, fügte ein weiterer hinzu. »Der hat ja so viel davon, dass es jeden Einbrecher im ganzen Land auf den Plan ruft.«
    »Vielleicht wollten sie auch der aufgetakelten Tussi ans Leder«, trumpfte der Erste wieder auf und erntete ein paar Lacher.
    Tim erreichte das Tor. Unter größter Anteilnahme der Versammelten erklärte er einem jungen Polizisten, dass man ihn angerufen hätte und dass er erwartet würde. Er wurde durchgelassen.
    Das Tor begrenzte den Bereich, der früher der eigentliche Hof gewesen sein mochte. Jetzt war er mit ausgesuchten, sauber geschrubbten Natursteinen gepflastert und mit großen, teuer aussehenden Pflanzen in Terracottatöpfen dekoriert. Rechts befand sich das Bauernhaus, ebenfalls blitzsauber, aufgeräumt und frisch gestrichen. Es war aus verwittertem Stein gebaut, der golden in der Morgensonne schimmerte. Das steile, mit Dachpfannen gedeckte Dach zeigte Altersunebenheiten. Das Skelett einer ehrwürdigen Glyzinie schlang sich um den Eingang, der auf einer Seite von einem in perfekte Kugelform geschnittenen Buchsbaum flankiert wurde wie von einem Wachmann. Die Vorhänge waren halb geschlossen, als ob man sich zunächst Abgeschiedenheit gewünscht, dann aber doch anders besonnen hatte. Auf dieser Seite des Hofs entdeckte Tim nicht das geringste Lebenszeichen. Er zögerte zu klopfen; er scheute sich, die Stille und das, was sie verbarg, zu stören. Schließlich entschloss er sich doch, den wie ein Delfin geformten Türklopfer zu betätigen. Er wartete. Keine Antwort.
    Die beiden anderen Seiten des Hofs wurden von den ehemaligen Scheunen und Kuhställen eingenommen, die jetzt das Inventar von Gatts Farm Antiques beherbergten. Von dort drang Stimmengewirr herüber. Tim überquerte den Hof und ging auf das hohe, zweiflügelige Scheunentor zu. Er war noch nie in den Ausstellungsräumen des ehemaligen Bauernhofs gewesen. Mit einer gewissen Aufrichtigkeit musste er zugeben, dass ihn das Ambiente einschüchterte; er hatte nie gelernt, zwischen Jugendstil und Art déco zu unterscheiden, und Barock war für ihn eine

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