Flucht aus Oxford
den letzten Rest Wein ausgetrunken, ihren bunten Umhang um die Schultern geworfen und ihre Tochter aus dem Pub gelotst.
»Auf Wiedersehen, Tim. Wir sehen uns sicher bald«, rief sie über die Schulter zurück, als sie fast schon auf der sternenbeschienenen Dorfstraße standen.
»Warum hast du das gesagt?«, schimpfte Kate. »Meine Vergangenheit geht ihn nichts an. Ich will nicht, dass er in meinem Privatleben herumschnüffelt.«
»Ich habe ihm nichts erzählt«, verteidigte sich Roz. »Ich fand nur, dass ich sein Interesse an dir ein wenig schüren sollte. Du hast den ganzen Abend so griesgrämig dagesessen; ich musste irgendetwas unternehmen, damit er den Eindruck bekommt, dass du es wert bist, dass man sich um dich kümmert.«
»Na, herzlichen Dank!«
Langsam spazierten sie unter einem schwarzen, sternenblitzenden Himmel zum Cottage zurück. Ein frostiger Mond hing über dem eleganten Dach von Gatt’s House und tauchte die Szene in kaltes Licht.
»Ich kann mich einfach nicht an diese Ruhe gewöhnen«, sagte Roz.
»Eine wunderbare Ruhe«, schwärmte Kate. Sie blickte in die graue Landschaft hinaus, die hier und da mit Lichtern betupft war. Die ferne M40, die sich von den Chilterns nach Stokenchurch hinabschwang, wirkte wie eine goldene Kette aus Scheinwerferlichtern.
Die einzig vernehmbaren Geräusche waren ihre Schritte und ein leises Summen von Roz.
»Was singst du da?«
»Ich dachte, ich sollte vielleicht schon einmal ein paar Kirchenlieder üben – für unseren Gottesdienstbesuch in Sankt Soundso.«
»Sankt Michael«, korrigierte Kate. »Warum sollten wir hingehen?«
»Der gute Tim Widdows würde uns mit Sicherheit erklären, dass der Gottesdienstbesuch für deinen Heilungsprozess unerlässlich ist.«
»Ich glaube, ich bleibe lieber bei meiner Meditation über Mond, Sterne und den Frieden der Landschaft.«
»Denk doch nur einmal daran, wie viele interessante Leute wir kennenlernen könnten.«
Doch Kate wurde einer Antwort dadurch enthoben, dass sie Crossways Cottage erreichten und sie Müdigkeit und Kopfschmerzen vorschützen konnte, um sich sofort in ihr Zimmer zurückzuziehen.
6
Am gleichen Abend, etwas früher, hatte sich Donna mit dem Mann getroffen, den sie ihren Raben nannte. Er hatte sein Auto in der Nähe eines Waldwegs außer Sichtweite der Landstraße geparkt. Donna wartete bereits auf ihn. Sie saß auf einer niedrigen Steinmauer, die an ein Birkendickicht grenzte.
»Welchen Weg hast du genommen?«, fragte er ohne weitere Begrüßung.
»Den Fußweg, wie immer«, antwortete sie. »Niemand hat mich gesehen. Du brauchst dir also keine Sorgen zu machen.«
»Gut.«
»Ist das alles, was du zu sagen hast? Ich weiß wirklich nicht, warum ich mir die Mühe mache, die ganze Strecke zu laufen.« Ihre Stimme klang trotzig.
»So weit ist es nun auch wieder nicht. Höchstens ein paar hundert Meter.« Er betrachtete sie. »Obwohl es dir in diesen Schuhen wahrscheinlich weiter vorgekommen ist.«
»Ich dachte, sie würden dir gefallen.«
»Sie gefallen mir. Sehr sogar. Du siehst überhaupt gut aus. Dieses Kleid mag ich ganz besonders.«
»Du hast gesagt, ich soll Schwarz tragen, also tue ich es.«
Der Rabe selbst trug einen dunklen Anzug, wie eigentlich immer, ein dunkelgrünes Hemd und eine kobaltblaue Krawatte. Wäre die Krawatte etwas heller, sähe er wie ein Gangster aus Chicago aus, dachte Donna zufrieden. Obwohl es über den Weiden bereits dämmerte und die Wälder dunkel und undurchdringlich wirkten, trug ihr Rabe eine Sonnenbrille; sie konnte den Ausdruck seiner Augen nicht erkennen. Die Haut um seinen Mund war allerdings straff gespannt, was entweder bedeuten konnte, dass er sich über sie ärgerte oder dass er bereits an die vor ihnen liegenden erregenden Erlebnisse dachte – das wusste Donna. Ihr Rabe liebte Erfahrungen, die sich im Grenzbereich zwischen Einfallsreichtum und Gefahr bewegten. Donna in ihrem kurzen schwarzen Kleid fröstelte.
»Ist dir warm genug?«, fragte er. »Hast du einen Mantel mitgebracht?«
»Schon gut. Wenn wir erst im Auto sitzen, brauche ich keinen Mantel.«
»Du trägst Strümpfe, oder?«, forschte er.
»Und die sind ganz schön unbequem«, erwiderte Donna. »Die Strapse schneiden mir in die Oberschenkel, wenn ich mich setze. Was ich nicht alles für dich tue!«
»Keine Sorge, ich werde mich gleich sehr dankbar erweisen. Wie ist es? Hast du Hunger?«
»Und wie!«
»Dann besorgen wir uns jetzt etwas zu essen, und dann denken wir darüber nach, was
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