Flucht Der Sklaven
seinen Magen. Er war Stahl und zu seiner Überraschung noch immer nicht hart genug. Er hatte sie nach Caemlyn schicken wollen, mit Alivia als Beschützerin. Falls die Frau mit den goldenen Haaren ihm beim Sterben helfen würde, musste er ihr vertrauen können. Er hatte sich seine Worte zurechtgelegt, aber nach einem Blick in Mins dunkle Augen war er nicht hart genug, sie von seiner Zunge formen zu lassen. Er lenkte den Grauen zwischen kahle Bäume und sagte über die Schulter gerichtet zu Cadsuane: »Das hier ist der Ort.«
Natürlich folgte sie ihm. Das taten sie alle. Harine hatte ihn kaum lange genug aus den Augen gelassen, um ein paar Stunden zu schlafen. Er hätte sie zurückgelassen, aber zu diesem Thema hatte Cadsuane ihm ihren ersten Rat gegeben. Ihr habt mit ihnen einen Handel abgeschlossen, mein Junge, das ist dasselbe, als hättet Ihr einen Vertrag unterzeichnet. Oder Euer Wort gegeben. Haltet es oder sagt ihnen, dass Ihr es brecht. Sonst seid Ihr nichts anderes als ein Dieb.
Barsch, auf den Punkt gebracht und in einem Tonfall, der keinen Zweifel über ihre Meinung zu Dieben aufkommen ließ. Er hatte nie versprochen, ihren Rat auch zu befolgen, aber sie hatte zu lange gezögert, ihm überhaupt als seine Ratgeberin zur Seite zu stehen, als dass er es riskieren wollte, sie so schnell wieder zu vertreiben, also ritten die Herrin der Wogen und die beiden anderen vom Meervolk mit Alivia, vor Verin und den anderen fünf Aes Sedai, die ihm die Treue geschworen hatten, und den vieren, die Cadsuanes Begleiterinnen waren. Sie würde ihn noch eher verlassen als ihre Anführerin, davon war er überzeugt, vielleicht sogar noch schneller.
Für die Augen eines jeden anderen war der Ort, an dem er vor der Einreise in Far Madding gegraben hatte, durch nichts zu erkennen. Er sah jedoch einen schmalen Lichtstrahl, der wie Laternenlicht durch die feuchte Erde des Waldbodens in die Höhe wuchs. Selbst ein Mann, der die Macht lenken konnte, hätte durch diesen Strahl hindurchgehen können, ohne ihn zu bemerken. Er machte sich nicht die Mühe abzusteigen. Mit Strängen aus Luft riss er die dicke Schicht aus verfaulenden Blättern und Zweigen beiseite und schaufelte feuchte Erde heraus, bis er ein langes, schmales, von Lederschnüren zusammengehaltenes Bündel freigelegt hatte. Erdklumpen hingen an dem Tuch, als er Callandor in seine Hand schweben ließ. Er hatte nicht gewagt, es nach Far Madding mitzunehmen. Ohne Scheide hätte er es am Brückentor zurücklassen müssen, eine gefährliche Flagge, die nur darauf wartete, seine Anwesenheit zu verkünden. Es war unwahrscheinlich, dass man in der ganzen Welt ein weiteres Schwert aus Kristall finden würde, und zu viele Leute wussten, dass der Wiedergeborene Drache eins besaß. Und da er es hier zurückgelassen hatte, war er in der finsteren, feuchten, engen Steinkiste unter der ... Nein. Das war vorbei. Vorbei. Lews Therin hechelte in den Schatten seines Verstandes.
Er schob Callandor unter den Sattelgurt und lenkte den Grauen herum, bis er den anderen gegenüberstand. Der eisige Wind ließ die Pferde die Schweife eng an die Körper gedrückt halten, aber gelegentlich stampfte eines mit dem Huf auf oder warf den Kopf nach oben; nach der langen Zeit der Untätigkeit im Stall warteten sie ungeduldig darauf, sich wieder bewegen zu können. Wegen den mit Juwelen verzierten Ter'angrealen, die Nynaeve trug, sah die Ledertasche, die an ihrer Schulter hing, ganz unauffällig aus. Jetzt, da die Zeit nahe war, strich sie über die ausgebeulte Tasche, ohne sich überhaupt bewusst zu sein, was sie da eigentlich tat. Sie versuchte ihre Furcht zu verbergen, aber ihr Kinn zitterte. Cadsuane sah ihn unbewegt an. Die Kapuze war ihr auf den Rücken gefallen, und manchmal versetzte ein etwas stärkerer Windstoß die goldenen Fische und Vögel und Sterne und Monde in Bewegung, die von ihrem Haarknoten baumelten.
»Ich werde die männliche Hälfte der Quelle vom Makel befreien«, verkündete er.
Die drei Asha'man, die nun wie die anderen Behüter einfache dunkle Mäntel und Umhänge trugen, tauschten aufgeregte Blicke, aber die Aes Sedai erschauderten. Nesune stieß ein Keuchen aus, das für die schlanke, vo -gelähnliche Schwester viel zu laut erschien.
Cadsuanes Gesichtsausdruck veränderte sich um keinen Deut. »Damit?«, sagte sie und wies mit einer skeptisch hochgezogenen Braue auf das Bündel unter seinem Bein.
»Mit den Choedan Kai«, erwiderte er. Dieser Name war ein weiteres Geschenk
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