Flucht Der Sklaven
hätte er sich mit der Flöte irgendein Nachtlager verdienen können. Die Melodie hieß Klage einer langen Nacht und er hatte sie nie zuvor im Leben gehört. Lews Hierin schon. Es war wie mit den Fertigkeiten im Zeichnen. Eigentlich, fand Rand, hätte ihm das Angst einjagen oder ihn wütend machen sollen, aber er saß einfach da und spielte, während Lews Therin weinte.
»Licht, Rand«, murmelte Min, »willst du bloß dasitzen und auf diesem Ding rumblasen?« Ihre Röcke wirbelten umher, während sie auf dem geblümten Teppich auf und ab schritt. Der Bund mit ihr und Elayne und Aviendha fühlte sich an, als hätte es ihn schon immer gegeben. Als hätte er nie etwas anderes gewollt. Er atmete und er war mit ihnen verbunden; das eine war so natürlich wie das andere. »Sollte sie ein falsches Wort sagen, das jemand aufschnappt, wenn sie es bereits gesagt hat... Ich werde nicht zulassen, dass dich jemand für Elaida in eine Zelle schleift!« Alannas Bund hatte sich noch nie so angefühlt. Zwar hatte er sich im Grunde nicht verändert, doch seit jenem Tag in Caemlyn erschien er zusehends stärker als Eindringling, wie ein Fremder, der über seine Schulter blickte, Sand in seinen Stiefeln. »Musst du das spielen? Es treibt mir Tränen in die Augen und verschafft mir gleichzeitig eine Gänsehaut. Wenn sie dich in Gefahr bringt...!« Sie riss eines ihrer Messer aus seinem Versteck in dem lose fallenden Ärmel und drohte damit.
Er nahm die Flöte von den Lippen und sah schweigend zu ihr herüber. Ihr Gesicht rötete sich, dann knurrte sie plötzlich und schleuderte die Klinge in den Boden, wo sie zitternd stecken blieb.
»Sie ist hier«, sagte er und zeigte mit der Flöte in eine Richtung. Unbewusst drehte er das Instrument und zeichnete Alannas Weg damit ganz genau nach. »Sie wird bald da sein.« Sie war am Vortag in Far Madding eingetroffen, und er verstand nicht, warum sie bis jetzt gewartet hatte. Alanna war ein Gewirr aus Gefühlen in seinem Kopf, nervös und misstrauisch, besorgt, entschlossen und vor allem zornig. Ein kaum gezügelter Zorn. »Wenn du lieber nicht dabei sein willst, kannst du ...« Min schüttelte energisch den Kopf. Direkt neben Alannas Bund lag das Bündel, das Min darstellte. Auch in ihm brodelte es vor Sorge und Wut, aber jedes Mal, wenn sie ihn ansah, strahlte die Liebe wie ein Signalfeuer auf und durchdrang es. Manchmal auch einfach nur so, wenn sie ihn nicht ansah. Furcht schimmerte ebenfalls hindurch, obwohl sie sie zu verbergen suchte.
Er setzte die Flöte wieder an die Lippen und begann mit Der betrunkene Hausierer. Das war fröhlich genug, um die Toten aufzumuntern. Lews Therin knurrte ihn an.
Min musterte ihn mit verschränkten Armen, dann riss sie abrupt an ihrem Kleid und rückte es auf den Hüften zurecht. Mit einem Seufzer senkte er die Flöte und wartete. Wenn eine Frau grundlos ihr Kleid richtete, war das mit einem Mann zu vergleichen, der die Schnallen seiner Rüstung fester zog und den Sattelgurt überprüfte; sie wollte einen Sturmangriff reiten, und man würde wie ein Hund niedergemacht, wenn man die Flucht ergriff. In Min war die Entschlossenheit jetzt genauso groß wie in Alanna, Zwillingssonnen, die in seinem Hinterkopf aufglühten.
»Wir werden nicht mehr über Alanna sprechen, bis sie hier ist«, sagte sie entschieden, so als hätte er auf diesem Thema bestanden. Entschlossenheit und noch immer Furcht, die jetzt stärker als zuvor war, ununterbrochen niedergetrampelt wurde und wieder in die Höhe sprang.
»Aber natürlich, Frau, wenn du es so möchtest«, erwiderte er und senkte den Kopf in der Art, wie es in Far Madding Sitte war. Sie schnaubte laut.
»Rand, ich mag Alivia. Das tue ich wirklich, selbst wenn sie Nynaeve in den Wahnsinn treibt.« Mit einer in die Hüfte gestützten Faust beugte sich Min vor und richtete den Zeigefinger genau auf seine Nase. »Aber sie wird dich töten.« Sie spie jedes Wort aus.
»Du hast gesagt, sie würde mir dabei helfen zu sterben«, sagte er ganz ruhig. »Das waren deine Worte.« Wie würde es sich wohl anfühlen, wenn er starb? Da würde Trauer sein, sie verlassen zu müssen und Elayne und Aviendha. Trauer über den Schmerz, den er ihnen bereitet hatte. Vor dem Ende hätte er gern noch einmal seinen Vater gesehen. Davon abgesehen war er beinahe zu dem Schluss gekommen, dass der Tod eine Erlösung sein würde.
Der Tod ist eine Erlösung, sagte Lews Thenn inbrünstig. Ich will den Tod. Wir verdienen den Tod!
»Mir beim Sterben
Weitere Kostenlose Bücher