Flucht im Mondlicht
beiden Schwestern in einem Raum gewesen, während Safuna sie zu Hause unterrichtet hatte, jedes Kind seinem Alter gemäß. Er bekam ein flaues Gefühl im Magen, in dem das Ei und die Erdnussbutter rumorten.
»Was ist mit dir, Junge?«, fragte die Sekretärin von ihrem Schreibtisch aus.
»Ach, nichts«, krächzte Fadi. Er riss sich zusammen, blickte noch einmal auf die Skizze auf seinem Stundenp lan, die ihm den Weg zu seinem Klassenzimmer wies, und schlängelte sich durch eine Flut von Schülern hindurch. Er wanderte durch unbekannte Flure, vorbei an Gruppen von Mädchen und Jungen, die die Köpfe zusammensteckten, herumalberten und lachten. Sie wirkten wie eine große Gemeinschaft. Fadi fühlte sich wie ein Schatten, den niemand beachtete. Der einzige Mensch, den er kannte, befand sich nicht einmal im selben Gebäude. Salmai war ein Jahr jünger als Fadi, deshalb besuchte er noch die Grundschule nebenan. Sie hatten am Vorabend miteinander gesprochen und vereinbart, sich nach der Schule zu treffen, aber das war nicht dasselbe.
An einer Kreuzung zwischen zwei Fluren blieb Fadi stehen, um eine Gruppe Jungen in Sportkleidung vorbeizulassen. Ihm gegenüber saß ein Mädchen an einem kleinen Tisch und verteilte Flugblätter. Am vorderen Rand des Tischchens klebte ein Spruchband mit der Aufschrift: WÄHLT ANH ZUR KLASSENSPRECHERIN ! Die meisten Leute ignorierten das Mädchen. Einige nahmen das Flugblatt, nur um es ein paar Meter weiter in einen Papierkorb zu werfen. Doch das Mädchen machte mit entschlossener Miene weiter.
Fadi kam an den Toiletten vorbei und schließlich erreichte er den Raum 145. Er holte tief Luft, drehte den Türknauf und trat ein. Lautes Stimmengewirr und Gelächter schlugen ihm entgegen. Kinder lümmelten herum, unterhielten sich und bewarfen sich mit zusammengeknülltem Papier. Sein Unbehagen wuchs, als er feststellte, dass die meisten Tische schon besetzt waren. Nur ganz vorne waren noch welche frei. Dort will ich auf keinen Fall sitzen .
Dann entdeckte er einen freien Platz auf der anderen Seite des Raumes, in der Mitte der Reihe. Neugierige B licke richteten sich auf ihn, als er mit eingezogenem Kop f durch den Raum lief und sich erleichtert auf den freien Platz setzte. Er stellte seinen Rucksack unter den Tisch. Dann strich er seinen Stundenplan auf der zerkratzten Tischplatte glatt und studierte ihn, ohne sich von dem Lärm um ihn herum beirren zu lassen. Er stellte fest, dass er zuerst Mathematik hatte. Okay, Mathe ist gut und ziemlich leicht . Anschließend hatte er Biologie. Dann war Mittagspause. Der Rest des Schultages bestand aus Sprachunterricht und Sport. Sein Herz schlug schneller, als er sah, dass er am Donnerstag Kunstunterricht hatte.
Als er seinen Stundenplan zusammenfaltete und in seinen Rucksack steckte, warfen zwei Jungen, die hinter ihm saßen, Papierflieger nach den Mädchen in der zweiten Reihe. Eines traf den Kopf eines Mädchens mit glitzernden rosaroten Haarspangen im hellblonden Haar. Mit geröteten Pausbacken drehte es sich auf seinem Platz um.
»Hör auf damit, Ike!«, schrie es. Dann zerknüllte es den Papierflieger und warf ihn zurück zu einem drahtigen rothaarigen Jungen. Das ist also Ike , dachte Fadi.
»Was willst du dagegen machen, Fetti Patty?«, höhnte Ike.
»Ja, Fetti«, echote Ikes schwarzhaariger Freund grinsend. »Was willst du machen? Uns fressen?«
»Der war gut, Felix«, sagte Ike und klatschte seinen Freund ab.
Felix tat so, als würde er sich mit den Händen durchs Haar fahren, das mit Gel zu einer Igelfrisur fixiert war, und lehnte sich auf seinem Sitz zurück.
Patty lief rot an, schniefte und drehte sich weg.
»Ignoriere sie einfach, Patty«, tröstete ihre Freundin sie und warf den Jungen einen bösen Blick zu. »Die zwei sind einfach blöd. Das waren sie doch schon im Kindergarten.«
Mensch, diese Kinder kennen sich schon ewig , dachte Fadi erstaunt.
Ike wollte gerade etwas erwidern, als die Tür aufflog. Ein Mann in einem knalligen, gelb und lila gestreiften Hemd hastete herein und schloss die Tür hinter sich. Seine schulterlangen Haare sahen aus, als wären sie schon lange nicht mehr gekämmt worden. »Entschuldigt die Verspätung, Kinder«, sagte er. »Ich bin heute im Verkehr stecken geblieben. Das wird nicht mehr vorkommen, versprochen. Also verpetzt mich nicht beim Direktor.«
Die Klasse kicherte über seine letzte Bemerkung. Er nahm ein Stück Kreide und schrieb mit einer schwungvollen Bewegung seines
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