Flucht im Mondlicht
Klinik zu bringen.«
»So Allah will, findet sie uns vielleicht doch!«, rief Safuna mit einem hoffnungsvollen Funkeln in den Augen.
»Gut gemacht, Fadi«, sagte Onkel Amin. »Das hättest du uns gleich sagen sollen.«
»Das ist eine gute Chance«, sagte Habib und hob die Hand. »Aber wir dürfen uns keine zu großen Hoffnungen machen.«
»Dann treib das Geld für die Rückreise nach Peschawar auf, Habib«, sagte Safuna. Sie warf ihrem Mann einen zornigen Blick zu. »Wir müssen im Grenzgebiet nach ihr suchen, bis wir sie finden.«
Habib schloss die Augen und sah weg. »Nichts täte ich lieber, aber du weißt so gut wie ich, dass das Zeit braucht.«
Fadi sah das traurige Gesicht seines Vaters und hätte sich vor Scham am liebsten verkrochen. Ich bin es, der keine Ehre hat. Alles ist meine Schuld. Ich muss etwas tun. Aber was?
Nach einem schnellen Imbiss aus Kräckern und Erdnussbutter schnappte Fadi sich seinen Fotoapparat und verließ die Wohnung. Noor war soeben von der Arbeit heimgekehrt und ihre Eltern erzählten ihr gerade von Professor Sahibs Anruf. Fadi hatte einen Hoffnungsschimmer auf dem Gesicht seiner großen Schwester gesehen, bevor er die Tür hinter sich geschlossen hatte. Er ging die Treppe hinunter und verließ den Wohnblock. Es war ein warmer Septembertag, und es tat gut, die Sonne auf dem Rücken zu spüren, während er auf der Paseo-Padre-Allee zum Lake-Elizabeth-Park lief.
In einem hatte Mutter recht , dachte er bitter. Wenn wir nur genug Geld hätten, um zurückzureisen und nach Mariam zu suchen. Ich wette, dass sie über die Grenze gekommen ist. Sie sucht bestimmt nach uns .
Aber wo sollte das Geld herkommen? Die Reise kostete mehrere Tausend Dollar, und sein Vater verdiente kaum genug, um die Miete und das Essen zu bezahlen. Selbst mit Noors Hilfe konnten sie unmöglich so viel Geld aufbringen. Vielleicht finde ich einen Job. Aber wo? Richtig arbeiten durfte man erst ab fünfzehn. Vielleicht konnte er Zeitungen austragen, wie Salmais Freund. Aber es würde Jahre dauern, mit solchen Jobs die nötige Summe zu verdienen.
Er bräuchte, wie Claudia, einen jüngeren Bruder mit Geld oder eine Glückssträhne. Die beiden hatten einen Schatz gefunden, während sie sich im Metropolitan Museum versteckt gehalten hatten. Claudia, die einen Sauberkeitsfimmel hatte, hatte darauf bestanden, dass sie und ihr Bruder nachts ein Bad im Springbrunnen des Museums nahmen. Als sie durchs Wasser gewatet waren, hatten sie festgestellt, dass auf dem gekachelten Boden eine Menge Münzen lagen. Im Laufe der Jahre hatten viele Museumsbesucher Geldstücke in den Brunnen geworfen, weil das Glück bringen sollte. Am Ende benutzten Claudia und ihr Bruder den Brunnen als ihr privates Sparschwein. Aber Fadi hatte weder einen reichen Bruder noch Zugang zu einer solchen Geldquelle. Frustriert kickte er einen Kieselstein vom Bürgersteig und stieß sich dabei die Zehe an.
»Autsch!«, knurrte er.
Vielleicht kann ich das Geld von jemandem leihen. Aber von wem? Onkel Amin kam nicht infrage. Er verdiente nicht viel und musste seinen arbeitslosen Bruder unterstützen. Und wenn es möglich wäre, sich von jemandem Geld zu leihen, hätte sein Vater das sicher längst getan und wäre nach Pakistan zurückgereist, um Mariam zu suchen.
Die ganze Grübelei und die Neuigkeiten von Professor Sahib verursachten Fadi Kopfschmerzen. Er rieb sich die Stirn und blieb am Zebrastreifen stehen. Als das rote Ampelmännchen weiß wurde, folgte er einer Frau, die einen Kinderwagen über die Straße schob. Eine ferne Musik wurde lauter, als ein Eiswagen um die Ecke bog.
Das ist Mr Singh , O nkel Amins Nachbar von gegenüber , erinnerte sich Fadi. Als er Mr Singh in der Woche nach seiner Ankunft zum ersten Mal gesehen hatte, war er überrascht gewesen, dass der fröhliche Eisverkäufer einen Bart und einen Turban trug, ähnlich wie viele Afghanen. Aber er war weder Afghane noch Muslim. Er stammte aus Indien, und der Bart und der Turban waren Ausdruck seiner religiösen Überzeugungen als Sikh.
Mr Singh gab den Kindern immer Rabatt, wenn Tante Nilufer ihnen Eis kaufte … Eis am Stiel war eine geniale amerikanische Erfindung. So wie Erdnussbutter, Limettenwackelpudding, Schokoriegel und Gebäck mit Marshmallow-Füllung. Mit finsterem Blick beobachtete Fadi ein paar Kinder, die sich um den kleinen weißen Lastwagen scharten. Verdammt. Wenn ich bloß etwas Geld hätte. Aber ich habe keinen Cent. Er wollte gerade weitertrotten, als ihm ein
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