Flucht im Mondlicht
hinzu. »Ein paar Häuser weiter ist ein Teppichgeschäft, das einem Pakistani gehört. Es wurde vor Kurzem nachts verwüstet. Die Fensterscheiben wurden eingeworfen … und üble Sprüche an die Wände gesprüht.«
»E s sind schwierige Zeiten, Bruder Gul.« Safuna seufzt e. »Wir müssen stark und wachsam sein.«
»Ja, da hast du recht, Schwester«, erwiderte Gul, als er ihnen Speisekarten reichte.
Fadi stellte erfreut fest, dass seine Mutter heute Abend ein waches Glitzern in den Augen hatte. Sie hatte sich die Mühe gemacht, ihr Haar zu richten, und auf Noors Drängen hin sogar etwas Lippenstift aufgelegt.
Gul Khans Frau war in der Küche, die durch ein langes rechteckiges Fenster vom Gastraum aus zu sehen war. Sie stand vor köchelnden Töpfen und rührte um. Als sie merkte, dass die neuen Gäste zu ihr hereinschauten, eilte sie hinaus, um sie zu begrüßen.
»Meine Frau macht die besten Mantu der Stadt«, verkündete Gul Khan strahlend. Seine Frau errötete.
»Dann nehmen wir die auf jeden Fall«, sagte Habib.
Als die Familie sich niedergelassen hatte, brachte Gul Khans halbwüchsiger Sohn als Vorspeise einen Salat an ihren Tisch, zusammen mit vier Gläsern Dogh , einem Joghurt-Getränk mit klein gehackter Gurke und Minze.
»Das riecht wundervoll.« Habib schnupperte genüsslich an seinem Glas.
»Ja, wirklich«, stimmte Safuna ihm mit einem seltenen Lächeln zu.
Gul Khan kam vorbei, um die Bestellung aufzunehmen. Und innerhalb von Minuten quoll ihr Tisch über vor heißem duftenden Essen. Fadi verzichtete auf die Mantu , nagte an einem zarten gegrillten Hähnchenschlegel und beobachtete das amerikanische Ehepaar, das umständlich Brot in seinen Auberginendip eintunkte.
»Ist alles nach Wunsch?«, fragte Gul Khan, als er nach einer halben Stunde wiederkam, um ihren Krug Wasser nachzufüllen.
»Es schmeckt köstlich, Bruder Gul«, sagte Safuna. Ihre Wangen waren rosig und sie hatte ihren Teller fast leer gegessen.
Gul lächelte stolz. Da klingelte das Telefon. »Einen Augenblick, bitte«, sagte er, eilte zum Tresen hinüber und nahm den Hörer ab. Ruhig stand er da und hörte dem Anrufer zu. Doch nach wenigen Sekunden wurde er ganz aufgeregt. »Oh, Allah sei uns gnädig!«, flüsterte er. Nach einem schnellen Blick in die Küche legte er auf, ging zur Stereoanlage, schaltete die Musik aus und das Radio an.
Bald drang die Stimme eines BBC -Reporters durch den Raum.
Gul Khan kam herübergelaufen. »Bruder Habib«, sagte er mit gedämpfter Stimme. Angespannt stand er neben ihrem Tisch und spielte nervös mit den Fingern. »Hör zu, was gerade passiert.«
Fadi legte seine Gabel weg und spitzte die Ohren, um jedes Wort des englischen Berichterstatters mitzubekommen.
»Die Operation Enduring Freedom hat begonnen. Heute Abend wurden von amerikanischen und britischen Sc hiffen Tomahawk-Marschflugkörper abgefeuert. Gleic hzeitig flogen landgestützte B-1-Lancer-, B-2-Spirit- und B-52-Stratofortress-Bomber Luftangriffe. Das erste militärische Ziel ist laut Präsident George Bush die Zerstörung der Ausbildungslager und der Infrastruktur der Terroristen in Afghanistan, die Gefangennahme von Al-Qaida-Führern und die Beendigung terroristischer Aktivitäten.«
Fadi beugte sich über seinen Teller. Der Appetit war ihm vergangen. Er beobachtete die bleichen Gesichter seiner Eltern, während alle sich vorstellten, wie die Bomben fielen. Wurde Dschalalabad auch bombardiert? Was war mit Mariam?
Ein neuer Plan
Fadi fühlte sich wie ein haariges einzelliges Pantoffeltierchen, das bewegungsunfähig zwischen zwei Glasplättchen unter einem Mikroskop lag. Er wünschte, er könnte einfach aus dem Fenster fliegen, aber er konnte nicht fliehen. Er saß auf einem rutschigen Plastikstuhl im Büro von Direktor Hornstein, der ihn und Ike forschend ansah.
»Also, Jungs, was machen wir nun in dieser Angelegenheit?«, sagte der Direktor. Er beugte sich über seinen Schreibtisch und verknotete seine Finger, auf deren unteren Gliedern kleine braune Haarbüschel wuchsen.
Fadi schwieg und blickte zur Seite. Ike, der rechts neben ihm saß, betrachtete seine Fingernägel und sagte auch nichts. Vor einer Viertelstunde hatte Direktor Hornstein die beiden Jungen von der Schulsekretärin in sein Büro zitieren lassen. Fadi hatte ein mulmiges Gefühl bekommen, aber als er Ikes Gesicht gesehen hatte, hatte er auch Genugtuung empfunden. Der Rotschopf hatte immer noch eine geschwollene Lippe von einem Treffer Fadis. Zorn
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