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Flucht in die Hoffnung

Flucht in die Hoffnung

Titel: Flucht in die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tina Rothkamm
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dieses
Fest viel wichtiger als für mich. Ja, auch eine deutsche Frau heiratet gern,
doch sie ist kein Mädchen, das sich jahrelang nur auf diesen einen Tag
vorbereitet. Aber Farid, der Mann, brauchte ein Fest und seine Familie, seine
große Familie. Das konnte ich ihm nicht bieten. Ganz im Gegenteil: Ich vertrieb
die Verwandtschaft, seine Familie rief nicht einmal an, um uns zu gratulieren.
    In all dem Trubel erkannte ich nicht, wie schlimm das für ihn war.
Doch als die Gäste gegangen waren, sah ich ihn das erste Mal in meinem Leben
weinen, und er sagte mir sogar, warum.
    »Vielleicht sind die Telefonleitungen gestört«, versuchte ich ihn zu
trösten.
    Farid warf mir einen bitterbösen Blick zu.
    Ich war schuld. Weil ich keine Tunesierin bin. Zudem war ich schuld
daran, dass wir in diesem scheußlichen Land Belgien lebten, denn wer hatte ihm
denn diesen seltsamen Studienplatz besorgt, bei dem er sich zu Tode langweilte,
weil er nur zwei Stunden am Samstagvormittag zur Uni gehen konnte. Daneben
durfte er nicht arbeiten, sondern war zum Nichtstun verdammt. Wer wollte ihm
denn da seine Würde nehmen?
    Ich schlug die Augen nieder. Farid hatte kein Wort gesprochen. Doch
ich hatte seine lautlosen Vorwürfe nur zu deutlich gespürt. Auf einmal sprang
er auf, packte mich am Arm und zog und zerrte, schleifte und stieß mich ins
Schlafzimmer, wo er mich brutal auf das Bett schleuderte. Laut tunesisch
fluchend stürzte er in die Küche, riss die vollgestopfte extragroße Mülltüte,
die meine Schwester und ihr Freund gefüllt hatten, an sich: Fleischreste,
Saucen, Dips, Servietten, vollgerotzte Taschentücher, Zigarettenkippen,
Kaffeesatz. Er leerte die Tüte über mir aus. Ich krümmte mich wie ein Embryo
und schluchzte meine Verzweiflung in das frisch bezogene Bett, in dem sich der
Gestank des Mülls schnell ausbreitete. Farid rannte hinaus, knallte die Tür zu
und drehte den Schlüssel im Schloss herum.
    Ich legte die Hände schützend auf meinen Bauch.
    Ich weiß nicht, wie lange ich bewegungslos auf dem Bett lag, bis ich
den Unrat vorsichtig zur Seite schob. Ich zog mir die Decke über den Kopf und
atmete mit Bedacht. Das alles konnte nur ein Albtraum sein.
    Irgendwann hörte ich das Telefon klingeln. Farid nahm im Wohnzimmer
ab, und seine Stimme klang fröhlich zu mir durch. Kurz darauf drehte sich der
Schlüssel im Schloss herum.
    »Räum diese Sauerei auf und mach das Zimmer sauber«, befahl Farid
mir. Ich schlug die Bettdecke zurück und erfüllte ihm seinen Wunsch.

UNSERE KLEINE PRINZESSIN
    Am nächsten Tag hatte ich mich selbst davon überzeugt,
dass unser schlechter Start an Brüssel lag. Diese Stadt tat uns nicht gut, wir
mussten weg von hier. Alles würde besser werden, wenn wir Belgien verließen.
Farid brauchte eine Beschäftigung, die ihn forderte und ausfüllte, keinen
halbseidenen Studienplatz. Er war intelligent und ehrgeizig, musste gefördert
werden. Er brauchte eine Chance.
    Und ich?
    Ich musste durchhalten, bis sich unsere Lebensumstände besserten.
Musste aufpassen, dass ich ihn nicht provozierte. Deutlich erinnerte ich mich
an unsere glückliche Zeit in Tunesien, an all die Liebe … und die Hoffnung.
Nein, davonlaufen kam nicht infrage, schon gar nicht in meinem Zustand. Mein
Kind sollte in einer intakten, glücklichen Familie aufwachsen. Und wir würden
woanders wieder glücklich sein, sagte ich mir und hielt mich daran aufrecht.
    Im Frühling 2002 zogen wir nach Deutschland in die Nähe meines
Vaters und meiner Schwester an den Niederrhein. Ich freute mich so, endlich
wieder mit meiner Familie vereint zu sein. Doch Farids gute Laune hielt sich in
Grenzen. Er sprach noch immer kein Deutsch und fand deswegen auch keine Stelle
als Arzt.
    Ich schlug ihm einen Kurs an der Volkshochschule vor. Das war dem
gnädigen Herrn nicht gut genug.
    Meine Oma teilte seine Meinung, dass ein Arzt über den
Normalsterblichen steht, denn bändigt er nicht den Tod? Kurzerhand bezahlte sie
ihm einen Deutschintensivkurs am Goethe-Institut. Farid war hoch motiviert,
lernte rund um die Uhr und machte schnell Fortschritte. Tunesier sind daran
gewöhnt, mit Sprachen förmlich zu jonglieren. Sie wachsen auf mit der
tunesischen Sprache, in der Schule lernen sie von der ersten Klasse an
Hocharabisch, ab der dritten Klasse gehört Französisch zum Unterricht, und
später wird meistens noch Englisch gelernt. Ich war sicher, dass es Farid und
somit auch uns besser gehen würde, wenn er Deutsch verstand. Man fühlt sich
nicht

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