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Flucht in die Hoffnung

Flucht in die Hoffnung

Titel: Flucht in die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tina Rothkamm
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daran. Ich bin müde, ich bin wund, ich …«
    »Ruf deinen Vater an. Jetzt.«
    »Bitte, Farid, bitte, ich …«
    »Ich bleibe hier keine Stunde mehr mit diesen dummen Puten. Das ist
untragbar! Von einer medizinischen Einrichtung verlange ich Kompetenz! Die
haben null Ahnung. Das ist doch alles nur kindisch hier!«
    Sein Gesicht verzerrte sich zu einer hässlichen Grimasse. Emira
wachte auf, wurde unruhig. Ihr winziges Gesicht verzog sich zum Weinen.
    Hastig griff ich nach dem Telefon und bat meinen Vater, uns
abzuholen.
    Eine halbe Stunde später war er da. Zärtlich betrachtete er Emira,
sein Enkelkind, dann warf er mir einen schnellen Blick zu. Doch er fragte nicht
und fuhr uns schweigend nach Hause.
    Am Nachmittag klingelte die Hebamme zur Nachsorge. Es war
verabredet, dass sie in den ersten Tagen nach meiner Heimkehr täglich nach mir
sehen sollte.
    Farid schickte sie weg.
    »Ich möchte zu Ihrer Frau«, widersprach die Hebamme.
    »Es geht ihr gut.«
    »Davon möchte ich mich selbst überzeugen.«
    »Ich muss Sie nicht in die Wohnung lassen.«
    »Ich würde jetzt gern Ihre Frau sehen.«
    »Ich bin Arzt. Ich weiß, was zu tun ist.«
    Ja, das wusste Farid. Er warf mir das Telefon und ein Telefonbuch
auf das Bett und verlangte: »Finde einen Kinderarzt, der Emira heute noch
gründlich untersucht. Erkundige dich auch nach den Impfungen.«
    »Aber sie ist doch noch viel zu klein, um geimpft zu werden«,
rutschte es mir heraus.
    »Du sollst dich erkundigen, habe ich gesagt«, erwiderte Farid mit
einer Kälte in der Stimme, die er stets erklirren ließ, wenn ich es wagte, ihm
zu widersprechen.
    In meinem Zustand hatte ich keine Kraft, mich zu wehren. Ich war
einfach nur müde nach der Geburt. Wieso freute er sich nicht, dass wir ein
gesundes Kind hatten? Wieso ließ er mich nicht gewähren?
    Er muss sich erst in seine Vaterrolle hineinfinden, sagte ich mir.
Das ist ganz normal. Das sind die Aufregung und die Sorge um die Kleine und um
mich. Wenn Emira von einem Arzt untersucht worden ist, beruhigt er sich. Er tut
das doch nur aus Liebe.
    Wie so oft begann ihn vor mir selbst zu entschuldigen … hatte ich
denn eine andere Wahl mit dem Säugling auf dem Arm?
    Zwei Stunden später war ich verzweifelt, denn ich hatte keinen Arzt
ausfindig gemacht, der noch am selben Tag einen Termin für uns hatte.
Schließlich war es ja kein Notfall.
    Als ich stillen wollte, trieb Farid mich zur Eile an. Ich sollte
jetzt gefälligst endlich einen Arzt finden, wieso ich mich so ungeschickt
benähme, dass niemand kooperieren wollte.
    Bald war mir klar, dass die ärztliche Untersuchung so etwas wie
meine Eintrittskarte in ein normales Familienleben war. Ich musste sie kriegen,
koste es, was es wolle.
    Schließlich ließ ich mir einen Notfalltermin bei einem
Kinderarzt geben, der meine Familie gut kannte, weil er meine Schwester
jahrelang behandelt hatte. Wir wurden freundlich begrüßt, und der Arzt redete
einige Minuten lang mit mir über meine Mutter. »Es tut mir leid, dass Ihre
Mutter so früh gestorben ist. Sie war so eine lebensbejahende Frau. Ich habe
mich immer gefreut, sie zu sehen.«
    Ich presste die Lippen aufeinander, um nicht zu weinen. »Danke«,
sagte ich leise und war froh, als er das Thema wechselte. Wie sehr hätte ich
jetzt die Nähe meiner Mutter gebraucht.
    Nun hatte ich selbst ein Mädchen. Ich würde alles dafür tun, dass
wir eine ebenso innige Beziehung hätten wie meine Mutter und ich. Ich drückte
Emira an mich und versuchte, dieses Gefühl von Verzweiflung zu überwinden, das
mich angesichts Farids Verhalten überkam. Ich musste da durch. Alles würde sich
wieder einrenken. Ganz bestimmt …
    Der Arzt gratulierte Farid und mir zu unserem Wonneproppen. Farid
fiel ihm ins Wort und verlangte, dass er mit der Untersuchung begann.
    Der Kinderarzt, ein schon etwas älterer Mann mit einem gütigen Gesicht
und reichlich Lebenserfahrung, ließ den Blick zwischen Farid und mir hin und
her schweifen. Ich sagte kein Wort. Verkrampft und eingesunken saß ich vor dem
Schreibtisch und morste dem Arzt mit meinen Augen: Bitte, tun Sie einfach, was
er verlangt. Bitte!
    Das Schweigen zog sich hin. Dann nickte der Arzt, langsam,
bedächtig, und da wusste ich, dass er meine Botschaft empfangen hatte.
    Emira war kerngesund, ganz so, wie es die Hebammen gesagt hatten.
Wir verabredeten einen Termin für die nächste Untersuchung und fuhren nach
Hause. Einem entspannten Familienleben stand nun nichts mehr im Weg.
    Irrtum.
    Farid stand

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