Flucht ins Glück: Das Geheimnis von Baxter Hall: Von den Eltern verstoßen (Frauenschicksale im 19. Jahrhundert) (German Edition)
ihrem Schein blickte sich Darcey um. Es gab mehrere Sessel und zwei Vitrinen, in denen Porzellanfiguren standen, und einen etwas größeren Schrank. Auf dem Kamin entdeckte sie eine alte, reichverzierte Stutzuhr.
Sie trat an eines der Fenster und schob den roten Samtvorhang, der es verbarg, zur Seite. Der Wagen, mit dem sie kommen war, stand nicht mehr auf dem Vorplatz.
Die Minuten verrannen. Darcey hätte sich gern hingesetzt, doch der Butler hatte ihr keinen Platz angeboten. Obwohl Anabel Curtis nichts davon gesagt hatte, daß sie mit Lord Denham in Cambridge oder London zusammengetroffen war, befürchtete die junge Frau plötzlich, er könnte in ihr, wenn sie ihm vorgestellt wurde, sofort die Betrügerin erkennen. Sie kämpfte gegen das Verlangen an, aus dem Haus zu fliehen. Wohin sollte sie denn fliehen? Sie kannte niemanden in Cornwall. Wer A sagt, muß auch B sagen, ging ihr durch den Kopf.
"Miss Curtis!"
Darcey reagierte nicht sofort. Sie mußte sich erst noch daran gewöhnen, in Zukunft Miss Curtis zu sein. Langsam wandte sie sich um. Hinter ihr stand der Butler. "Ich wollte nur einen Blick aus dem Fenster werfen", fühlte sie sich genötigt zu sagen.
"Lord und Lady Denham werden Sie morgen vormittag empfangen, Miss Curtis." Der Butler drehte sich zur Tür. "Ah, da sind Sie ja, Mrs. Fletcher", sagte er zu der älteren Frau, die das Empfangszimmer getreten hatte. Er machte Darcey mit Abigail Fletcher bekannt und fügte hinzu, daß es sich bei ihr um die Wirtschafterin des Hauses handelte. "Mrs. Fletcher wird sich um Sie kümmern, Miss Curtis. Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht." Würdevoll ging er hinaus.
"Sie werden völlig durchfroren sein, Miss Curtis", meinte Abigail Fletcher. "Ich habe eines der Mädchen angewiesen, in Ihrem Zimmer den Kamin anzuheizen. Bitte kommen Sie."
"Mein Gepäck?"
"Das ist inzwischen auf Ihr Zimmer gebracht worden, Miss Curtis." Die Wirtschafterin führte Darcey die geschwungene Treppe im Hintergrund der Halle hinauf. "Die Zimmer von Miss Elizabeth befinden sich im zweiten Stock. Sie werden gegenüber ihres Schlafzimmers wohnen."
Die junge Frau war zu müde, um die Gemälde zu betrachten, die entlang der Treppe hingen. Mit ihrer Tasche folgte sie Abigail Fletcher durch einen Gang und über eine weitere Treppe in den zweiten Stock hinauf, wo sie erneut in einen Gang einbogen. Von diesem Gang aus führte eine Treppe direkt in den Park hinunter.
Im Schein der Petroleumlampe, die auf einer Konsole stand, erkannte Darcey mehrere Türen, die von dem Gang abgingen. Vor einer der Türen blieb die Wirtschafterin stehen und öffnete sie. "Das ist Ihr Zimmer, Miss Curtis", sagte sie und trat beiseite. "Sehen Sie, im Kamin brennt bereits ein Feuer."
Darcey war für das Feuer überaus dankbar. Sie legte ihre Tasche auf den Sessel, der vor dem Kamin stand. So groß hatte sie sich ihr Zimmer nicht vorgestellt. Miss Barney, die Gouvernante, die sich Alice und sie mit Margaret Thomson geteilt hatten, hatte sich mit einem bedeutend kleineren Zimmer begnügen müssen.
"Eines der Mädchen wird Ihnen noch etwas zum Abendessen bringen", sagte die Wirtschafterin. Sie ging zur Tür. "Wir sehen uns morgen früh. Gute Nacht, Miss Curtis."
"Gute Nacht, Mrs. Fletcher", erwiderte Darcey.
Kaum hatte sich die Tür hinter der Wirtschafterin geschlossen, legte sie Hut und Handschuhe ab und schlüpfte aus dem Mantel. Als sie die Tür des Kleiderschranks öffnete, nahm sie einen schwachen Duft nach Lavendel wahr.
Darcey mußte nicht lange auf ihr Essen warten. Ein schüchternes, etwa fünfzehnjähriges Mädchen namens Bessy brachte ihr auf einem Tablett Brot, kaltes Hühnerfleisch und eingemachte Pflaumen. Bevor die junge Frau mit Bessy auch nur ein paar Worte wechseln konnte, war sie schon wieder verschwunden.
Mit einiger Mühe öffnete Darcey ihr im Rücken geknöpftes Kleid, löste die Bänder ihrer Unterröcke und die Verschnürung ihres Korsetts, so daß sie sich seiner ohne Hilfe entledigen konnte. Sie war froh, daß ihre Tante stets an ihrer Garderobe gespart hatte. Hätte sie eines dieser komplizierten Korsetts getragen, in das Alice jeden Tag gezwängt wurde, so hätte sie es nicht ohne Hilfe an- und ausziehen können.
Auf dem Waschtisch standen eine große Porzellanschüssel und ein Krug mit warmem Wasser. Die junge Frau wusch sich gründlich den Reisestaub ab, bevor sie ihr Nachthemd überstreifte und sich an den Tisch zum Essen setzte. Obwohl Darcey sehr hungrig war, bekam sie kaum etwas
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