Flucht ins Glück: Das Geheimnis von Baxter Hall: Von den Eltern verstoßen (Frauenschicksale im 19. Jahrhundert) (German Edition)
Teppich. Sie zog den Vorhang zurück. Im selben Moment flog erneut etwas gegen das Fenster. Gleich darauf sah sie Frederic. War er denn von allen guten Geistern verlassen? Rasch öffnete sie das Fenster. Er wies zum Haus.
Die junge Frau schloß das Fenster, zog sich Schuhe an und hüllte sich in einen weiten Umhang. Mit der brennenden Kerze trat sie in den Gang und lief zu der Treppe, die in den Park hinunterführte. Anders als die Haupttreppe lag diese des Nachts im Dunkeln. Vorsichtig stieg sie Stufe für Stufe hinunter.
Lord Duncan stand in dem kleinen Vorraum, durch den man ins Freie gelangte. Er nahm ihre Hand und zog sie in eine winzige Kammer. "Ich mußte dich sehen, Anabel", sagte er. "Verzeih, wenn ich dich erschreckt habe."
"Ja, das hast du", flüsterte sie vorwurfsvoll. "Du bist leichtsinnig, Frederic. Wenn dich jemand gesehen hätte."
"Nicht hinter einem der Fenster brennt noch Licht", antwortete er. "Ich fahre morgen nach Wales, Anabel. Ich mußte dich unbedingt vorher noch einmal sehen." Er nahm ihr die Kerze aus der Hand und stellte sie auf ein Regal. "Wie hübsch du bist, wenn dir die Haare wirr in die Stirn fallen." Zärtlich strich er ihr die Haare zurück.
"Warum mußt du von heut auf morgen nach Wales, Frederic?" fragte sie leise und schmiegte sich an ihn. "Wirst du lange fortbleiben?"
"Ein paar Wochen", antwortete er.
"Hat es mit mir zu tun?" Ihre Stimme war kaum mehr als ein Hauch.
Er schloß die Arme um sie. "Ich brauche ein wenig Zeit, Anabel. Und auch du brauchst Zeit zum Nachdenken. Wir müssen uns darüber klarwerden, ob unsere Liebe groß genug ist, um uns über alle Konventionen hinwegzusetzen. Ich liebe und ich achte dich zu sehr, um an eine bloße Liaison zu denken. Ich möchte dich nicht nur heimlich treffen, sondern mich offenvor aller Welt zu dir bekennen."
Sag es ihm! schrie es in Darcey. Sag es ihm!
Darcey nahm ihren ganzen Mut zusammen. "Frederic, da ist etwas, was du wissen solltest", begann sie. "Ich liebe dich und deshalb..."
Er legte einen Finger auf ihre Lippen. "Anabel, sag nichts", bat er. "Nehmen wir diese Wochen als Chance, um unsere Gefühle füreinander zu prüfen. Wenn wir nach meiner Rückkehr immer noch überzeugt sind, daß unsere Liebe groß genug ist, um den Kampf mit meiner Familie und der Gesellschaft aufzunehmen, so werden wir es tun." Er schaute ihr in die Augen. "Vertrau mir, Darling. Bitte, vertrau mir."
"Ich vertraue dir", flüsterte sie und verbarg ihr Gesicht an seiner Schulter.
* * *
Der Mai verging. Es wurde Juni. Darcey verlegte einen großen Teil von Elizabeths Unterricht in den Park. Ab und zu nahm Lady Violette ihre kleine Tochter zu Freunden mit, die auch Kinder hatten. An solchen Tagen sprudelte Elizabeth abends fast über von all den Abenteuern, die sie mit den anderen Kindern erlebt hatte und Mrs. Hill und sie hatten Mühe, sie zum Schlafen zu bringen.
In all den Wochen hörte Darcey nichts von Lord Duncan. Er hatte ihr bisher nicht ein einziges Mal geschrieben. Sie hatten zwar ausgemacht, nicht miteinander in Verbindung zu treten, dennoch hatte sie gehofft, er würde von sich hören lassen. Wie gern hätte sie Lady Denham gefragt, wann ihr Bruder aus Wales zurückkehrte. Sie überlegte sogar, ob sie Elizabeth nicht anstiften sollte, nach ihrem Onkel zu fragen, aber es kam ihr schäbig vor, das kleine Mädchen zu benutzen.
An ihrem freien Tag fuhr Darcey mit dem Kutscher nach Launceston, um dort ein paar Besorgungen zu machen. Er hatte fast den ganzen Tag in der Stadt zu tun und sie verabredeten, daß er sie am späten Nachmittag nach Denham Manor mit zurückzunehmen würde. Sie befürchtete nicht, sich zu langweilen, denn in der Stadt gab es sehr viel zu besichtigen und eine über die Stadtgrenzen hinaus bekannte Teestube, in dem sie ihren Lunch einnehmen wollte.
Elizabeth war gar nicht glücklich, an diesem Tag keinen Unterricht zu haben. Dazu kam, daß sich Mrs. Hill nach dem Lunch nicht wohl fühlte. Sie bat Maud, eines der Hausmädchen, sich um Miss Elizabeth zu kümmern und legte sich hin.
Das kleine Mädchen spielte mit seiner Puppenstube. Da es so sehr in sein Spiel vertieft schien, glaubte Maud, sich eine Pause verdient zu haben und ging in die Küche hinunter, um dort eine Tasse Tee zu trinken.
Nach einer Weile wurde es Elizabeth langweilig. Sie verließ das Spielzimmer und ging zu ihrer Nanny. Als sie sah, daß Mrs. Hill schlief, zog sie sich leise zurück und beschloß, sich im Zimmer ihrer Gouvernante umzusehen.
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