Flucht ins Glück: Das Geheimnis von Baxter Hall: Von den Eltern verstoßen (Frauenschicksale im 19. Jahrhundert) (German Edition)
auf ihm eine tiefe Tonschale und einen blauen Krug. Ein Waschtisch mit einer gesprungenen Marmorplatte, eine verzierte Eichentruhe und ein Lehnsessel vervollständigten die Einrichtung. Wie im Unterschoß lag auf allem dicker Staub und reizte sie zum Niesen.
Angewidert fegte Diana mit einem Kissen ein Spinnennetz zur Seite und öffnete eines der Fenster, um Luft in den Raum zu lassen. Die kühle Morgenluft streifte ihr Gesicht. Minutenlang schloß sie die Augen, versuchte sich vorzustellen, was in diesem Raum geschehen war. Für den Bruchteil einer Sekunde sah sie eine Frau in Schwesterntracht, die sich über das Bett beugte.
Diana drehte sich um, starrte auf das Bett. Eine tiefe Traurigkeit ergriff sie, trieb ihr die Tränen in die Augen. Mit einer flüchtigen Handbewegung strich sie sich über das Gesicht.
Es wurde allerhöchste Zeit, in ihre Kammer zurückzukehren! Diana warf einen prüfenden Blick aus dem Fenster. Es mußte etwa fünf sein. Die Hausmädchen hatten sicher schon damit begonnen, die Zimmer im Erdgeschoß aufzuräumen und zu putzen. Sie konnte nur hoffen, daß niemand sie aus der Bibliothek kommen sah.
Diana hatte Glück. Es gelang ihr, unbemerkt den Dienstbotenaufgang zu erreichen. Als sie die Treppe hinaufstieg, begegnete ihr einer der Hausburschen, der zwei geschlossene Eimer zu dem Handkarren trug, der vor dem Hintereingang des Hauses stand.
Mary Jones war bereits aufgestanden. Sie stand am Fenster der Kammer und kämmte sich ihre Haare. "Wo bist du gewesen, Diana?" fragte sie, als die junge Frau eintrat.
"Im West-Tower", antwortete die junge Frau wahrheitsgemäß. "Ich konnte nicht schlafen und wollte mich ein bißchen umschauen."
"Mitten in der Nacht?" Die Schneiderin runzelte die Stirn. "Du solltest dich umziehen, bevor dich jemand zu Gesicht bekommt. Dein Rock und deine Bluse sind voller Staub und Spinnweben." Sie setzte sich ihre Haube auf. "Und kämme dich! So unordentlich kannst du dich jedenfalls nicht vor den anderen sehen lassen."
Diana zog sich Rock und Bluse aus. Erst jetzt bemerkte sie den Staub, der sich überall in ihrer Kleidung festgesetzt hatte.
"Ich habe mich gestern mit Mrs. Sibley unterhalten", sagte Mary Jones. "Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß das Kind von Mrs. Baxter früher als erwartet auf die Welt kommt. Ich bin wirklich froh, daß wir mit der Wäsche für das Kinderzimmer und der Säuglingskleidung fast fertig sind."
"Und ich bin bisher keinen Schritt weitergekommen", meinte Diana niedergeschlagen. "So gern ich Mr. Baxter endlich nach Susan fragen würde, ich wage es nicht. Er ist so in sich gekehrt, so verbittert... Ich habe Angst, bei ihm eine weitere Wunde aufzureißen."
Mary Jones legte den Arm um die Schultern der jungen Frau. "Ich habe in der letzten Zeit sehr oft über deine Schwester nachgedacht und versucht, mich in ihre Lage zu versetzen. An ihrer Stelle hätte ich mir eine einfache, billige Unterkunft gesucht und von dort aus meinem Geliebten einen Brief geschickt. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie es gewagt haben sollte, Mr. Baxter auf Baxter Hall aufzusuchen."
"In diesem Fall ist Andrew Baxter tatsächlich der einzige, der mir Auskunft über ihren Aufenthaltsort geben kann", erwiderte Diana. "Inzwischen glaube ich auch nicht mehr, daß man hier etwas über Susan weiß. Ich muß ihn fragen, so leid er mir auch tut."
"Laß Mr. Baxter bitte noch Zeit, sich wieder auf Baxter Hall einzuleben, Diana. Schau ihn dir an. Ich habe noch nie einen so verbitterten Menschen gesehen wie ihn. Du könntest mit deiner Frage tatsächlich eine alte Wunde aufreißen. Was damals auch geschehen sein mag, er durfte sich nicht zu deiner Schwester bekennen."
"Er wird zumindest wissen, wo Susan ist", warf Diana ein. "Wenn er es nicht weiß, wer..." Sie wandte sich ab. "Er ist meine ganze Hoffnung."
"Hab noch etwas Geduld, Diana", bat Mary Jones. "Und vor allen Dingen, verliere nicht die Hoffnung. Du hast deine Schwester über vier Jahre nicht mehr gesehen, da kommt es auf ein paar Tage mehr oder weniger auch nicht an."
"Ich möchte nur wissen, ob es Susan gutgeht. Mehr verlange ich nicht", sagte Diana müde. "Mir kommt es vor, als würde ich mich im Kreis drehen." Sie lehnte sich aus dem offenen Fenster, weil sie glaube, in der kleinen Kammer keine Luft mehr zu bekommen. Ich muß Susan finden, dachte sie, ich muß!
Der Vormittag zog sich endlos hin. Diana hatte Schwierigkeiten, bei der Arbeit die Augen offen zu halten. Immer wieder ertappte sie sich
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