Flucht ins Glück: Das Geheimnis von Baxter Hall: Von den Eltern verstoßen (Frauenschicksale im 19. Jahrhundert) (German Edition)
dabei, wie sie fast einschlief. Nun rächte es sich, daß sie in der Nacht kaum geschlafen hatte.
Beim Lunch im Speisesaal des Hauspersonals war die Rede davon, daß Mrs. Ireton, die als Gouvernante für Master David eingestellt worden war, frühestens in sechs Wochen eintreffen würde. Sie war gestürzt und hatte sich den rechten Knöchel gebrochen.
"Mrs. Baxter hat sich sehr aufgeregt, als sie davon erfahren hat", sagte Anne Lane, die Zofe Maud Baxters. "Sie meinte zu Mr. Baxter, daß er für Master David eben jemand anderes finden müßte. Ihr Kind würde jedenfalls nicht die Nanny mit Master David teilen."
"Warum wird für das Kind von Mrs. Baxter nicht eine zweite Nanny eingestellt?" erkundigte sich Diana. "Das wäre die einfachste Lösung."
"Sir Richard wollte ein weiteres Kindermädchen einstellen. Master Robert möchte jedoch, daß sein Kind von Miss Hadfield betreut wird", antwortete Mrs. Sibley. "Immerhin sind er und sein Bruder selbst von Miss Hadfield erzogen worden. Er schätzt sie sehr."
Der Butler räusperte sich. "Es steht uns nicht zu, an diesem Tisch Entscheidungen der Herrschaft in Frage zu stellen", erklärte er. "Also sollte diese Diskussion sofort beendet werden."
Am Tisch kehrte betretenes Schweigen ein, das erst durch Bess gebrochen wurde, die fragte, ob sie noch ein Stück von der Rindfleischpastete haben könnte.
"Selbstverständlich, Bess", sagte Mr. Damery und bat Mrs. Sibley, dem Küchenmädchen die Schüssel mit der Paste zu reichen.
Während sich Mrs. Jones noch bei einer Tasse Tee mit Mrs. Sibley unterhielt, verließ Diana das Haus, um sich die Füße zu vertreten. Sie fühlte sich nicht mehr so müde und niedergeschlagen wie am Vormittag. Es war verrückt gewesen, mitten in der Nacht aufzustehen und in den Turm zu gehen. Sie hatte wirklich Glück gehabt, nicht dabei ertappt zu werden. Außerdem hatte die junge Frau, die im Turm gelebt hatte, nichts mit Susan zu tun.
Tief in Gedanken folgte Diana dem Weg, der zum Pavillon führte. Unbewußt hatte sie ihn eingeschlagen. Erst als sie kurz vor dem Pavillon stand, blickte sie auf. Die Fensterläden des Gebäudes standen offen. Sie war versucht näher heranzugehen, um durch eines der Fenster ins Atelier zu spähen. Nur mit Mühe hielt sie sich zurück. Sie hatte an diesem Tag bereits einmal das Schicksal herausgefordert. Ein weiteres Mal würde sie nicht soviel Glück haben.
Die junge Frau beschloß, zum Haus zurückzukehren. Mrs. Jones saß sicher bereits im Nähzimmer bei der Arbeit. Auch wenn sie wegen ihrer Abwesenheit nichts sagen würde, sie wollte sie nicht enttäuschen.
Diana hatte schon fast das Haus erreicht, als sie Andrew Baxter bemerkte. Auf seinem Stock gestützt stand er neben einem der Brunnen und starrte so verloren ins Wasser, als würde er sich fragen, weshalb er seine schwere Verwundung überlebt hatte. Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und rief ihm einen lauten Gruß zu.
Andrew zuckte zusammen. Er wandte sich ihr langsam zu. Diana knickste. "Diesmal ohne Begleitung?" fragte er, ohne eine Antwort zu erwarten.
"Miss Hadfield ist wieder in der Lage, sich um Master David zu kümmern, Sir", sagte Diana.
"Miss Hadfield ist ein ausgezeichnetes Kindermädchen", bemerkte er. "Mein Bruder Robert und ich haben sie sehr geliebt." Er blickte Diana ins Gesicht. "Woher kommen Sie, Diana?"
"Ich habe einen Spaziergang gemacht, Sir", erwiderte die junge Frau.
"Das meinte ich nicht. Wo sind Sie aufwachsen?"
"In London."
"London", wiederholte er. "Ich bin schon sehr lange nicht mehr in London gewesen." Seine Stimme klang abwesend. "Vermutlich werde ich im Winter ein paar Monate in London verbringen. Wir besitzen dort ein Stadthaus."
"Ich habe davon gehört", sagte Diana. "In der Nähe des Regent's Parks. Meine Schwester..."
Andrew Baxter hörte nicht auf Dianas Worte. Sie hatte den Regent's Park erwähnt. Es hatte genügt, um ihn an Susan zu erinnern. Warum hatte er nicht den Mut gehabt, seine Frau zu verlassen und mit Susan nach Amerika auszuwandern? Sie hätten dort ein völlig neues Leben beginnen können. Statt dessen war er nach Indien gegangen.
"Ich war in Indien, als ich die Nachricht vom Tod meiner Frau erhielt", sagte er völlig zusammenhanglos. Einerseits erschien es ihm lächerlich, über persönliche Dinge mit Diana zu sprechen, andererseits fühlte er, daß es ihm wohltat. Nach wie vor überlegte er, weshalb sie ihm so vertraut erschien. In Indien hatte er viel über Seelenwanderung gehört. Auch wenn
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