Flucht ins Glück: Das Geheimnis von Baxter Hall: Von den Eltern verstoßen (Frauenschicksale im 19. Jahrhundert) (German Edition)
meinte er. "Es besteht kein Grund zur Besorgnis. Master David wird in ein, zwei Tagen wieder wohlauf sein." Er verordnete Wadenwickel und einen Tee aus Salbei und Kamille. Außerdem ließ er ein Fläschchen mit Tropfen da, die er nach einem alten Rezept selbst gebraut hatte und auf die er schwor.
Sir Richard kam gegen Mittag ins Kinderzimmer. David war so erschöpft und müde, daß er seinen Großvater kaum wahrnahm. Schon nach wenigen Sekunden schloß er die Augen.
"Laut Dr. Duffield müssen wir uns keine Sorgen machen, Miss Coleman", meinte er. "Er sprach von einem Gespenst, das David gesehen haben will." Er sah sie forschend an. "Sie erzählen meinem Enkel hoffentlich keine Gespenstergeschichten?"
"Das würde ich niemals tun, Sir", erwiderte Diana.
"David steht meinem Herzen sehr nahe, Miss Coleman. Sorgen Sie gut für ihn."
"Ich gebe mir die größte Mühe, Sir."
Es wunderte Diana nicht, daß sich weder Robert Baxter noch seine Gattin bei David sehen ließen, aber es enttäuschte sie, daß auch Andrew Baxter nicht daran dachte, ihn zu besuchen. Auch wenn er David nicht für seinen Sohn hielt, der kleine Junge brauchte ihn. Sie nahm sich vor, Andrew bei nächster Gelegenheit zu sagen, was sie von seinem Verhalten hielt.
Gegen Abend ging es David besser. Er klagte nicht mehr über Leibschmerzen und auch das Fieber war gesunken. Diana wusch ihn und zog ihm zum vierten Mal an diesem Tag ein neues Nachthemd über. In ihren Arm geschmiegt trank er seinen Tee.
"Ich bin so müde", sagte er kraftlos.
"Sie werden bestimmt bald einschlafen, Master David", versprach die junge Frau. "Soll ich Ihnen nachher eine Geschichte vorlesen?"
"Ja." Er schloß die Augen.
Diana zog ihren Arm unter seinem Nacken hervor. "Ich werde die ganze Nacht bei Ihnen bleiben." Sie wies zu dem Lehnstuhl, den sie mit Dollys Hilfe neben sein Bett gerückt hatte. "Ich lasse Sie nicht allein."
David sah sie an. "Sie sind lieb", flüsterte er. "Richtig lieb."
Hinter Diana öffnete sich die Zimmertür. In der Annahme, es sei Dolly, die ihr Tee bringen wollte, sagte sie ohne sich umzudrehen: "Stell den Tee bitte auf den Tisch am Fenster."
"Ich bin leider ohne Tee gekommen, Miss Coleman."
"Papa!" David versuchte sich aufzurichten.
"Schön liegenbleiben, David." Andrew Baxter hielt seine rechte Hand hinter dem Rücken verborgen. "Ich wußte nicht, daß du krank bist, David", sagte er. Diana fiel ein Stein vom Herzen. "Ich war den ganzen Tag in Canterbury. Von deiner Krankheit habe ich erst vor wenigen Minuten erfahren." Er nahm die Hand hinter dem Rücken hervor und legte eine aus Holz geschnitzte und bunt bemalte Lokomotive auf die Bettdecke. "Bist du schon einmal mit der Eisenbahn gefahren, David?"
Der Kleine schüttelte den Kopf.
"Das habe ich mir gedacht. Als ich in Canterbury in einem Geschäft, in dem Spielwaren verkauft werden, diese Lokomotive entdeckte, mußte ich an dich denken." Er gab den Rädern der Lokomotive einen Stups. "Schau, sie drehen sich richtig. Wenn du gesund bist, werden wir mit der Eisenbahn fahren."
David, der eben noch entsetzlich müde und erschöpft gewesen war, bekam leuchtende Augen. Er umfaßte mit beiden Händen die Lokomotive."
"Bitte entschuldigen Sie mich, Sir." Diana eilte in ihr Zimmer hinüber. Sie hatte ihre Tränen nicht länger zurückhalten können. Es machte sie unendlich froh, daß sie Andrew Baxter unrecht getan hatte. Und er war nicht nur sofort nach seiner Rückkehr aus Canterbury zu David geeilt, nein, er hatte ihm auch noch etwas mitgebracht.
Aus dem Nebenzimmer hörte sie, wie Andrew dem Kind von Canterbury und der Eisenbahn erzählte. Er bewies dabei eine unendliche Geduld. Sie konnte sehr gut verstehen, weshalb sich Susan in den jungen Mann verliebt hatte. Man mußte ihn einfach gern haben!
Als Diana ins Schlafzimmer zurückkehrte, war David eingeschlafen. Andrew Baxter stand am Fenster und blickte in die Nacht hinaus. Langsam drehte er sich ihr zu. "Gestehen Sie, Miss Coleman, Sie glaubten, mich würde Davids Krankheit nicht berühren?"
Diana nickte. "Ich wußte ja nicht, daß Sie in Canterbury sind, Sir."
Andrew umfaßte ihre Schultern, ließ sie jedoch sofort wieder los und trat einen Schritt zurück. "Verzeihen Sie, Miss Coleman." Er stieß heftig den Atem aus. "Ich habe in Canterbury die Tochter unseres früheren Pfarrers aufgesucht. Sie ist dort verheiratet. Ihr Vater ist vor zwei Jahren gestorben. Ich dachte, daß sich Susan an unseren Pfarrer gewandt haben könnte, nachdem
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