Flucht ins Glück: Das Geheimnis von Baxter Hall: Von den Eltern verstoßen (Frauenschicksale im 19. Jahrhundert) (German Edition)
"Und das Kind? Wo ist mein Sohn?"
"Als wir Miss Coleman aufnahmen, mußten wir deine Gattin und Maud einweihen. Susan Coleman sollte das Kind zur Welt bringen und nach der Geburt das Haus verlassen. Wir vereinbarten mit ihr eine lebenslange Rente, außerdem sollte sie ein Cottage im Norden erhalten."
Andrew schüttelte den Kopf. "Susan hätte niemals auf ihr Kind verzichtet."
"Susan Coleman ist eine gescheite, junge Frau gewesen. Sie wußte, daß ihrem Kind nichts besseres geschehen konnte, als bei uns aufzuwachsen und nicht den Makel einer unehelichen Geburt tragen zu müssen, Andrew. Während der langen Monate, die sie im West-Tower verbracht hat, habe ich mich oft mit ihr unterhalten. Ich habe große Hochachtung vor ihr gehabt." Sir Richard zupfte an seinem Halstuch. "Wir erzählten den Leuten von Ruths Schwangerschaft. Ruth hoffte, mit dem Kind eure Ehe retten zu können. Sie..."
"David? David ist wirklich mein Sohn?" fragte Andrew fassungslos.
"Ja, er ist dein Sohn", erwiderte Sir Richard irritiert. "Hast du daran gezweifelt?" Er schüttelte den Kopf. "Das wußte ich nicht. Ich hätte nach deiner Rückkehr mit dir darüber sprechen müssen, aber ich dachte, es sei nicht wichtig. Wichtig ist einzig und allein, daß David mein Enkel ist und der zukünftige Erbe von Baxter Hall."
"Woran ist Susan gestorben?"
"Wir wissen es nicht genau. Die Schwangerschaft hat Miss Coleman sehr zu schaffen gemacht und bei Davids Geburt hat sie zudem noch sehr viel Blut verloren. Kurz nachdem ihr die Hebamme David in die Arme gelegt hatte, verlor sie das Bewußtsein und wachte nicht wieder auf. Wir brachten das Kind zu Ruth. Sie versuchte, David zu lieben, doch ihre Schwermut vertiefte sich von Tag zu Tag. Eines Morgens fand ihre Zofe sie tot im Bett. Sie hatte sich vergiftet."
"Also keine Lungenentzündung."
"Nein, keine Lungenentzündung."
"Und wie ist euch gelungen, das alles zu vertuschen?"
"Die Pflegerin und die Hebamme wurden mit viel Geld abgefunden. Mrs. Sibley ist sowieso die Verschwiegenheit in Person. Außerdem wartet auf sie in einigen Jahren ein Cottage in Cornwall. Ruths Zofe hat ebenfalls Geld bekommen. Sie ist inzwischen in London verheiratet."
"Bleiben nur Maud und Robert", bemerkte Andrew.
"Da sie zur Familie gehören, werden sie für immer schweigen", antwortete sein Vater. "Und an deiner Vaterschaft besteht nicht der geringste Zweifel. David ist dir wie aus dem Gesicht geschnitten. Mich wundert, daß dir das nicht aufgefallen ist."
Andrew Baxter erhob sich. Während er schweigend im Zimmer auf und ab ging, dachte er an jenen Tag im Regent's Park, an dem Susan und er sich kennengelernt hatten, hörte ihr Lachen, ihre Stimme. "Ich habe Susan niemals vergessen", sagte er. "Und ich werde sie niemals vergessen." Er atmete tief durch. "Sie hat mir das schönste Geschenk gemacht, das sich ein Mann wünschen kann. David!" Er trat zu seinem Vater. "Als du Diana nach ihrem Nachnamen fragtest und sie Coleman antwortete, meintest du, es sei ein häufiger Name. Das stimmt. Aber in diesem Fall ist es mehr, als ein häufiger Name. Diana ist Susans Schwester. Sie ist nach Baxter Hall gekommen, um nach ihrer Schwester zu suchen."
"Seit wann weißt du das, Andrew?" fragte Sir Richard bestürzt.
"Seit dem Tag, an dem ich ihr angeboten habe, Davids Kindermädchen zu werden." Andrew Baxter machte ein paar Schritte auf die Tür zu. "Ich werde zu ihr gehen und ihr sagen, daß David mein Sohn und ihr Neffe ist."
Sir Richard wollte seinen Sohn aufhalten. Es war schon zu spät. Die Tür schloß sich hinter Andrew. Der alte Mann trat ans Fenster und blickte in den Park hinaus. Wenig später sah er, wie Andrew auf Diana Coleman und David zuging. Er sagte etwas zu ihr. Sie öffnete überrascht den Mund. Bereits im nächsten Moment umarmte Andrew die junge Frau, dann ließ er sie los und wandte sich David zu, der sich in seine Arme warf.
* * *
Der Sommer verging. Es wurde Herbst. Die Taufe des kleinen Richard war mit einem großen Fest gefeiert worden, zu dem sogar Gäste aus London nach Baxter Hall gekommen waren. Andrew Baxter verbrachte sehr viel Zeit mit seinem Sohn. Es war nicht nur Davids Nähe, die er suchte, sondern vor allen Dingen auch Dianas. Mit jedem Tag, der verging, fühlte er sich stärker zu der jungen Frau hingezogen. Noch war er sich seiner Gefühle für sie allerdings nicht völlig sicher, denn er befürchtete, in ihr Susan zu sehen. Wie oft stand er hinter einem Fenster und beobachtete, wie sie mit David
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