Flucht ins Glück: Das Geheimnis von Baxter Hall: Von den Eltern verstoßen (Frauenschicksale im 19. Jahrhundert) (German Edition)
sie erfahren mußte, daß ich auf dem Weg nach Indien bin. Mrs. Olney erzählte mir von einer jungen Frau, die eines Tages im Pfarrhaus aufgetaucht sei. Nach dem Gespräch mit ihr hätte ihr Vater anspannen lassen und sei nach Baxter Hall gefahren."
"Das muß nicht meine Schwester gewesen sein." Diana berichtete ihm von der jungen Frau, die im West-Tower für einige Monate gelebt hatte.
"Eine Verwandte aus Schottland?" Andrew runzelte die Stirn. "Nun, ich werde herausfinden, was es damit auf sich hat." Er blickte ihr ins Gesicht. "Da ist doch noch etwas, Miss Coleman. Sie wirken heute so anders. Machen Sie sich immer noch um David Sorgen?"
Diana nickte. "Ja." Sie hatte lange über die Ereignisse der vergangenen Nacht nachgedacht. "Ich bin mir inzwischen sicher, David hat nicht geträumt. Vermutlich ist wirklich jemand in seinem Zimmer gewesen und er ist aufgewacht. Er klagte darüber, daß er einen so bitteren Geschmack im Mund hätte. Zum Glück hat er sich den Mund ausgespült."
Andrew Baxter ballte die Hände. "Das kann und das darf nicht sein, was Sie damit andeuten wollen, Miss Coleman? Wer sollte David nach dem Leben trachten?"
"Ich meine nur, wir sollten sehr vorsichtig sein."
Er schüttelte den Kopf. "Nein, nein, Miss Coleman, Sie irren sich. Niemand in diesem Haus würde David etwas antun." Er griff nach seinem Stock, den er gegen das Fensterbrett gelehnt hatte, und verließ mit schweren Schritten das Zimmer.
Anscheinend habe ich in ein Wespennest gestoßen, dachte die junge Frau. Sie wollte ja auch nicht glauben, daß Davids Leben in Gefahr war, doch es sprach sehr viel dafür. Zwischen diesem bitteren Geschmack, von dem David gesprochen hatte, seinem Fieber und den Leibschmerzen gab es sicher einen Zusammenhang. Da sie David nichts gegeben hatte, was bitter schmeckte, mußte es ein anderer getan haben. Vielleicht war dem Jungen im Schlaf etwas auf die Lippen geträufelt worden.
* * *
Bereits am nächsten Tag ging es David so gut, daß er aufstehen konnte. Dr. Duffield erlaubte ihm sogar, für eine Stunde in den Park zu gehen. Sir Richard beobachtete vom Fenster seines Arbeitszimmers aus, wie David mit seinem Steckenpferd auf dem Rasen entlang galoppierte.
Nach kurzem Anklopfen trat Andrew Baxter in den Raum. "Ich muß dich dringend sprechen, Vater", sagte er.
"Bitte." Sir Richard wies auf einen der Sessel. "Weshalb bist du gestern in Canterbury gewesen? Bestimmt nicht nur, um für David ein Geschenk zu kaufen."
"Nein, gewiß nicht." Andrew Baxter legte einen Ring auf den Kartentisch. "Kennst du diesen Ring, Vater?" fragte er. "Natürlich kennst du ihn. Großmutter hat ihn mir kurz vor ihrem Tod geschenkt. Ich sollte ihn der Frau an den Finger stecken, der einmal mein Herz gehören würde."
Sir Richard bemühte sich, ruhig zu bleiben. Er setzte sich seinem Sohn gegenüber. "Also hast du ihn Ruth geschenkt", meinte er, obwohl er genau wußte, daß es nicht an dem war.
"Vater!" Andrew Baxter griff nach dem Ring und barg ihn in seiner Hand. "Nein, so leid es mir tut, Ruth hat niemals mein Herz gehört. Ich schenkte diesen Ring der Frau, die ich von ganzem Herzen liebe." Er blickte seinem Vater ins Gesicht. "Ich war in den Räumen meiner verstorbenen Gattin. Daß ich den Ring in ihrem Schreibtisch entdeckte, war eigentlich mehr ein Zufall. Nun frage ich mich, wie dieser Ring in ihren Schreibtisch gekommen ist." Er legte den Ring erneut auf den Tisch. "Vater, wo ist Susan Coleman?"
"Es hat wohl wenig Sinn, noch zu schweigen", antwortete Sir Richard. "Nach deiner Abreise suchte uns der Pfarrer auf und sprach von einer jungen Frau, die bei ihm Hilfe gesucht hatte, weil sie von dir ein Kind unter dem Herzen trug. Wir wollten unter allen Umständen einen Skandal vermeiden. Robert schlug vor, die Frau mit Geld abzufinden. Ich brachte das nicht fertig, denn immerhin war es mein Enkelkind, um das es ging. Du hattest mir zwar nicht den Namen der Frau genannt, in die du dich verliebt hattest, aber der Ring wies sie aus. Wir beschlossen, Miss Coleman bei uns aufnehmen und als Verwandte aus Schottland auszugeben."
"Also ist Susan tot?" stieß Andrew entsetzt hervor.
"Du hast also von der Frau im West-Tower gehört?" Sir Richard nahm die Hand seines Sohnes. "Es tut mir leid, Andrew. Sie ist wenige Stunden nach der Geburt eures Sohnes gestorben."
Andrew entzog seinem Vater die Hand. Aufstöhnend vergrub er das Gesicht in den Händen. Erst nach einer Weile hob er den Kopf und fragte mit brüchiger Stimme:
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