Flucht ins Glück: Das Geheimnis von Baxter Hall: Von den Eltern verstoßen (Frauenschicksale im 19. Jahrhundert) (German Edition)
bemerkte sie, daß der Rauch durch die Lücke unter dem Portal in die Kapelle drang. Sie raffte ihren Rock und stieß, soweit sie kam, mit dem Fuß durch die Lücke. Ihr Schuh traf Reisig.
"Master David, laufen Sie zur Jungfrau und bleiben Sie dort", befahl sie. "Los, laufen Sie schon!" Sie stieß erneut nach dem Reisig. Es nützte nicht viel. Sowie sie ihren Fuß wegzog, rutschte neues Reisig nach.
"Erinnern Sie sich, vorgestern hat es geregnet. Das Reisig ist noch ziemlich feucht und gibt dadurch mehr Rauch", sagte Maud Baxter. "Ich habe genügend Reisig aufgehäuft, um Ihnen und David das Atmen schwer zu machen. Genährt wird das Feuer durch meine Jacke. Manchmal muß man eben Opfer bringen."
David klammerte sich an Diana. "Ich hab solche Angst", flüsterte er. "Warum tut Tante Maud so etwas? Haben wir etwas Böses getan?"
"Nein, Master David, wir haben nichts Böses getan." Diana sah ein, daß sie von hier drinnen nichts ausrichten konnte. "Kommen Sie!" Sie brachte David zur Statue der Jungfrau Maria. "Setzen Sie sich auf den Boden. Sie müssen keine Angst haben. Wir werden schon hier rauskommen."
David nickte. Über sein Gesicht rannen Tränen.
Diana blickte sich um. Die Fenster lagen zu hoch. Sie waren unmöglich zu erreichen. Mit dem Fuß und den Händen konnte sie das Reisig nicht fortschieben. Sie würde sich höchstens dabei verbrennen. Wenn es ihr gelang, aus den verrotteten Bänken ein Stück Holz zu brechen...
"Bleiben Sie sitzen, Master David", befahl sie und rannte zu der Bank, die ihr am geeignetsten erschien.
Immer mehr dunkler Rauch drang in die Kapelle. David begann zu husten. Dianas Augen brannten. Der Rauch setzte sich überall fest. Ihre Hände zitterten, als sie das Halstuch aus dem Ausschnitt von Davids Hemd zog und es ihm vor Mund und Nase band.
Es sah nicht aus, als könnte die junge Frau es schaffen, Holz aus den Bänken zu brechen. Sie riß sich bei ihrem Bemühen die Hände auf, ohne auch nur den geringsten Schmerz zu spüren. Nie zuvor in ihrem Leben hatte sie so entsetzliche Angst gehabt. David war noch so klein. Schon bald würde er keine Luft mehr zum Atmen haben.
Endlich gelang es ihr, ein Stück Holz zu lösen. Halb blind durch den Rauch stolperte Diana zum Portal und versuchte, das Holz durch die Lücke zu schieben. Es war zu dick!
Diana lief zu David, der hustend und schluchzend an der Statue lehnte. Er hielt die Hände vor die Augen gepreßt. Sie nahm ihn in die Arme, hielt ihn ganz fest. Husten hinderte sie am sprechen. Es würde keine Rettung geben. Sie konnte nur hoffen, daß es schnell gehen würde.
Von draußen drangen Stimmen in die Kapelle. "Weg da! Weg da!" schrie Maud Baxter. "Robert, denk an deinen Sohn!"
"Robert, halte mir diese Furie vom Hals!"
"Hilfe!" schrie Diana auf. "Andrew, Hilfe!"
"Papa", flüsterte David hustend.
Diana sprang auf. Sie hob David hoch. Zuerst wollte sie zum Portal laufen, doch dort war der Rauch am dichtesten. "Bitte, beeilen Sie sich, Mr. Baxter!" rief sie. "Wir bekommen kaum noch Luft."
Draußen wieherte ein Pferd auf.
"Maud, bleib hier!" schrie Robert Baxter.
Maud Baxter lachte auf. Es war ein schauriges, entsetzliches Lachen. Es ging in einen langgezogenen Schrei über. Der Schrei hallte durch die Kapelle, setzte sich in jedem Stein fest.
Diana hörte, wie der Riegel zurückgeschoben wurde. Andrew Baxter erschien in der offenen Tür. Er stieg über die Reste des Reisigs hinweg. Die junge Frau eilte ihm mit David in den Armen entgegen. Als er ihr David abnahm, bemerkte sie, daß er sich die Hände verbrannt hatte.
"Raus hier!" befahl er. "Los, kommen Sie!"
Rechts und links des Portals lag glimmendes, rauchendes Reisig, zwischen dem noch Fetzen einer dunklen Jacke zu erkennen waren. Robert Baxter kniete einige Meter entfernt neben seiner Gattin. Bei dem Versuch zu fliehen, war sie von ihrem Pferd abgeworfen worden und so unglücklich mit dem Kopf aufgeschlagen, das sie sich das Genick gebrochen hatte.
"Nicht hinschauen, David", mahnte Andrew Baxter. Er stellte seinen Sohn zu Boden und löste liebevoll das Halstuch, das ihm Diana vor das Gesicht gebunden hatte. "Tief einatmen."
David hustete.
Diana atmete tief die frische Luft ein. "Geht es Ihnen gut, Master David?" fragte sie.
David nickte.
"Sie sind gerade noch zur richtigen Zeit gekommen, Mr. Baxter", sagte sie zu Andrew. Sie griff nach seinen Händen. "Tut es sehr weh?"
"Im Moment noch nicht." Er nahm ihre Hände. "Sie bluten", stellte er fest.
"Ich habe
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