Flucht ins Glück: Das Geheimnis von Baxter Hall: Von den Eltern verstoßen (Frauenschicksale im 19. Jahrhundert) (German Edition)
gestärkten Schürzen der Mädchen, ihre adretten Hauben und die sauberen Kittel der Hausburschen. Mrs. Mason, die Hausdame, hatte zur Feier des Tages die Brosche angesteckt, die sie zum letzten Weihnachtsfest von der Duchess of Rowland erhalten hatte.
Der Butler half dem jungen Mädchen beim Aussteigen. "Willkommen auf Rowland Manor, Lady Ellen", sagte er. "Im Namen des gesamten Personals erlaube ich mir, Ihnen zu sagen, wie sehr wir uns über Ihre Rückkehr aus dem Internat freuen."
"Danke, Lansdale", erwiderte Ellen. "Es ist schön, willkommen geheißen zu werden." Sie wandte sich den Leuten zu, um ein paar Worte mit ihnen zu wechseln.
Sir Henry Ashburn Duke of Rowland und seine Gattin Victoria erwarteten ihre Tochter in der düsteren Eingangshalle des Hauses. Ellen begrüßte zuerst ihren Vater, einen großen, hageren Mann, dessen Gesicht nur selten von der Andeutung eines Lächelns erhellt wurde. Er küßte sie kühl auf die Wange.
Die Begrüßung durch ihre Mutter fiel nicht herzlicher aus. Ellen wurde nur flüchtig von ihr umarmt. Lady Victoria hatte noch niemals viel Interesse an ihrer Tochter gezeigt. Sie konnte es kaum erwarten, sie zu verheiraten und danach der Verantwortung für sie ledig zu sein. Dabei war Ellen ein Ebenbild ihrer Mutter, genau so hübsch, zierlich und rotblond wie sie.
Ellen wandte sich ihrem Bruder Simon zu, der sich aufrichtig freute, sie zu sehen. "Ich bin über das Wochenende nach Hause gekommen, Ellen", sagte er. "Schade, daß nicht auch Pieter und Arthur hier sind. Wir werden sie erst zu Pfingsten sehen."
"Du mußt mir von deiner Schule erzählen, Simon", bat Ellen. "Mich interessiert alles, was du lernst."
"Nun, dazu werdet ihr später noch Gelegenheit haben, Ellen", meinte Lady Victoria. "Du solltest erst einmal dein Zimmer aufsuchen und die staubige Reisekleidung ablegen. Wir sehen uns zum Tee."
"Soll ich Lady Ellen nach oben begleiten, Mylady?" erkundigte sich Abigail Cooper. Sie trat aus dem Schatten heraus, den die geschwungene Treppe warf.
"Nein, Miss Cooper, das kann Mason tun", antwortete die Hausherrin. "Begleiten Sie mich in meinen Salon. Ich habe einiges mit Ihnen zu besprechen."
"Wie Sie wünschen, Mylady", antwortete die Gesellschafterin devot.
Emma Mason, die seit ihrer frühesten Jugend auf Rowland Manor arbeitete, brachte Ellen zu ihrem Zimmer im zweiten Stock des Hauses hinauf, das völlig neu eingerichtet worden war. "Bereits im Februar haben die Handwerker den Auftrag dazu erhalten. Die Tapeten hat Lady Georgina persönlich ausgesucht. Ihre Großmutter hat Sie sehr vermißt, Lady Ellen."
"Ich habe meine Großmutter auch sehr vermißt, Mason", antwortete Ellen. Ihr Zimmer war wunderschön geworden. Einzig und allein eine alte Gliederpuppe, die auf der Fensterbank saß, erinnerte noch an das Kind, das es einst bewohnt hatte.
"Wir haben inzwischen sogar ein Telefon", sagte Mrs. Mason. Stolz schwang in ihrer Stimme mit. "Es gibt noch nicht viele Häuser, in denen ein Telefon steht."
"Das Telefon muß ich mir nachher unbedingt anschauen", meinte Ellen begeistert. Auf Silbury Castle hatte es kein Telefon gegeben. Sie hatte auch noch nie zuvor eines gesehen, nur davon gehört. "Wie kann man in einen Apparat sprechen und viele Kilometer entfernt, von einem anderen gehört werden?"
"Das wird mir auf ewig ein Rätsel bleiben, Lady Ellen, doch es funktioniert. Mister Lansdale hat schon mehrere Gespräche für Seine Lordschaft entgegengenommen. Er meint, daß das Telefon eine sehr gute Erfindung ist und mehr als nützlich."
"Ist Lansdale nicht an allen neuen Errungenschaften interessiert?" meinte Ellen. "Vergessen Sie nicht, wie begeistert er gewesen ist, als mein Bruder Pieter einen Fotoapparat zum Geburtstag bekommen hat."
"Sie sind sicher froh, die Schule hinter sich gelassen zu haben, Lady Ellen." Mrs. Mason warf einen Blick durch das elegant eingerichtete Zimmer. "Ist es auf Rowland Manor nicht schöner, als sonstwo auf der Welt?"
"Ich bin auch gern in der Schule gewesen, Mason", antwortete das junge Mädchen diplomatisch. "Wie geht es Lady Georgina? Der letzte Brief, den mir meine Großmutter geschrieben hat, klang müde."
"Es geht ihr nicht sehr gut, Lady Ellen", antwortete die Hausdame. "Sie hat schon vor zwei Stunden nach Ihnen gefragt. Sie kann es kaum noch erwarten, Sie zu sehen und wäre gern zu Ihrer Begrüßung aufgestanden. Leider hat ihr Doktor Morstan Bettruhe verordnet."
In aller Eile wusch sich Ellen in dem Ankleideraum, der durch
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