Flucht ins Glück: Das Geheimnis von Baxter Hall: Von den Eltern verstoßen (Frauenschicksale im 19. Jahrhundert) (German Edition)
Wünschen ihrer Eltern entsprochen hatte.
Warum fliehe ich nicht zu Mary, dachte Ellen in einem Anflug von Trotz. Sie würde mich bestimmt aufnehmen. Gemeinsam könnten wir meiner Familie die Stirn bieten.
Sie mußte lachen. Wie kam sie nur auf solche Gedanken? Auf Rowland Manor erwarteten sie ja nicht nur ihre Eltern, sondern auch ihre Großmutter, die sie von ganzem Herzen liebte. Und außerdem gab es da noch Joshua Bradley, den Sohn des Gärtners. Er war sechs Jahre älter als sie. Als Kinder hatten sie manchmal heimlich miteinander gespielt.
"Joshua", flüsterte sie kaum hörbar. Ja, sie freute sich auf Joshua, auch wenn sie kaum Gelegenheit haben würden, einander zu sehen. Ihr Vater hatte ihn als Lehrer ausbilden lassen. Er unterrichtete die Kinder in dem Dorf, das unterhalb von Rowland Manor lag.
Ellens Lippen umhuschte ein Lächeln. Ob Joshua sich über ihre Rückkehr freute? Mit den Gedanken an ihren Freund aus Kindertagen schlief sie ein.
* * *
Nach dem Frühstück am nächsten Morgen ging die Fahrt nach Rowland Manor weiter. Die guten Wünsche der Wirtin und der Mädchen, die Lady Ellen bedient hatten, folgten ihnen. Sie nahmen die Küstenstraße.
Ellen hatte die Vorhänge der Kutsche zurückgeschoben und blickte nach draußen. In der Ferne sah sie die Türme von Dunster Castle aufsteigen. Als Kind war sie einmal zusammen mit ihrem um ein Jahr jüngeren Bruder Simon, ihrer Großmutter und ihrer Gouvernante auf Dunster Castle zu Gast gewesen. Sie erinnerte sich noch an die große, eichengetäfelte Halle und das herrliche Treppenhaus, in denen sie verbotenerweise Verstecken gespielt hatten.
Sie fuhren entlang der Klippen. Wenn Ellen aus dem anderen Fenster der Kutsche sah, so konnte sie weit auf das Meer hinaus blicken. Von jeher hatte sie das Meer fasziniert. Oft hatte sie stundenlang von ihrem Fenster aus über den Park hinweg auf das Meer geschaut und sich vorgestellt, den Klippenpfad hinunterzusteigen, sich in ein Boot zu setzen und sich einem fernen Ufer entgegentreiben zu lassen. Später hatte sich in ihren Träumen Joshua zu ihr gesellt.
Wenngleich das junge Mädchen in der Nacht gut geschlafen hatte, machte es das Schaukeln der Kutsche müde. Die Augen fielen ihm zu. Es wachte erst auf, als Will Gibson vor einem Rasthaus anhielt. "Zeit für den Lunch, Lady Ellen", sagte er und bot ihr die Hand, um ihr aus der Kutsche zu helfen.
Eine halbe Stunde später ging es weiter. Sie passierten den kleinen Ort Clovelly, der sich zwischen den Klippen zum Meer hinunterzog. Nun war es nicht mehr weit nach Rowland Manor. Zum ersten Mal seit sie Silbury Castle verlassen hatte, spürte Ellen so etwas wie Freude. Nun konnte es nicht mehr lange dauern und sie würde ihre Großmutter wiedersehen. Was für wundervolle Stunden hatten sie miteinander verbracht, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war. Ihre Großmutter war die einzige gewesen, die sich geduldig die Geschichten angehört hatte, die ihrer Phantasie entsprangen, und sie nicht wegen ihrer verworrenen, ungeordneten Gedanken getadelt hatte.
Die Straße wandte sich vom Meer ab. Rechts und links von ihr breiteten sich endlose Wiesen aus, auf denen Schafe weideten. Zottelige Hunde und barfüßige Jungen hielten die Herde zusammen. Neugierig blickten die kleinen Hirten der Kutsche nach.
Sie bogen zum Meer ab. Vor ihnen öffnete sich ein großes, schmiedeeisernes Tor. Der Torwächter und seine Familie hatten sich vor dem Pförtnerhaus versammelt und verneigten sich, als die Kutsche an ihnen vorbeifuhr. Ellen winkte ihnen zu.
Die Wiesen hinter dem Tor standen voller Blumen. Ellen dachte daran, wie sie als Kind hier einen Strauß für ihre Mutter gepflückt hatte. Sie hatte gehofft, auch einmal auf den Schoß genommen zu werden wie Simon, statt dessen hatte ihre Mutter sie wegen der Grasflecken auf ihren Strümpfen ausgezankt und ihrer Gouvernante vorgeworfen, nicht genügend auf sie aufzupassen.
Und dann tauchte Rowland Manor vor ihnen auf. Ein großes, graues Gebäude mit zwei mächtigen, viereckigen Türmen, in der Sonne wie mit Silber übergossen wirkenden Schindeldächern und Fenstern, die aus unzähligen Butzenscheiben zusammengesetzt waren. Auf den hohen Säulen rechts und links des Portals erinnerten die Statuen zweier Ritter an die ruhmreiche Vergangenheit der Familie Ashburn.
Das gesamte Hauspersonal, darunter auch die Gesellschafterin ihrer Mutter, hatte sich vor dem Portal aufgestellt, um sie zu begrüßen. Ellen bemerkte die frisch
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