Flucht ins Glück: Das Geheimnis von Baxter Hall: Von den Eltern verstoßen (Frauenschicksale im 19. Jahrhundert) (German Edition)
zählte, die für ihre Eltern zwecks einer Heirat in die engere Wahl kamen. Auch wenn er beim Militär dank seiner Herkunft eine glänzende Karriere vor sich hatte, besonders viel Intelligenz besaß er bestimmt nicht.
"Erzählen Sie mir von Indien, Mr. Morier", bat sie, um dem Gespräch eine andere Wendung zu geben. Zudem interessierte sie sich für fremde Länder und hätte sie für ihr Leben gern besucht. "Es muß dort wundervoll sein."
"Vor allen Dingen ist es schmutzig und heiß", sagte der junge Offizier abfällig. "Dazu kommen all die Tiere und Insekten, die einem das Leben schwer machen. Und erst die Eingeborenen! Sie werden sich nicht vorstellen können, wie diese Menschen leben. Ich hätte so etwas früher auch nicht für möglich gehalten." Sein Gesicht verzog sich angeekelt. "Für die Inder ist es ein Segen, daß wir uns um sie kümmern. So lernt wenigstens ein Teil von ihnen Manieren. – Und glauben Sie etwa, diese Leute sind uns dankbar? Nein, keineswegs. Sie machen uns nichts als Schwierigkeiten."
"Warum sollten sie uns dankbar sein?" fragte Ellen aufgebracht. "So wie ich das sehe, haben wir nichts in Indien verloren. Außerdem haben die Inder, nach allem, was ich über das Land gelesen habe, eine sehr hohe Kultur, die unserer durchaus gleichzusetzen ist."
Edward Morier blieb stehen. "Ich glaube kaum, daß das auch die Meinung des Duke of Rowland ist, Lady Ellen", meinte er erregt. "Vermutlich haben Sie noch nie von den Menschenopfern gehört, die einer der indischen Gottheiten mit Namen Kali gebracht werden, und wohl auch kaum von der Sklaverei, die dort herrscht."
"Es ist noch gar nicht so lange her, daß in England die Leibeigenschaft abgeschafft wurde", bemerkte Ellen. Es war dumm, sich mit Edward Morier auf ein Streitgespräch einzulassen, doch die Überheblichkeit in einer Stimme machte sie wütend.
"Sklaverei und Leibeigenschaft kann man wohl kaum miteinander vergleichen", behauptete er. Seine Lippen kräuselten sich zu einem ironischen Lächeln. "Sie sollten Ihr hübsches Köpfchen nicht mit derartigen Dingen belasten, Lady Ellen. So etwas tut der natürlichen Anmut einer jungen Dame nicht gut."
"Eine Frau sollte sich über alles eine eigene Meinung bilden dürfen", widersprach Ellen.
Edward Morier lachte schallend auf. "Es wäre müßig Ihnen böse zu sein, Lady Ellen", sagte er. "Auch eine junge Dame wie Sie wird sicher schon bald erkennen, daß es nichts bringt, die göttliche Ordnung in Frage zu stellen. Gott hat mit gutem Grund den Mann als Herrn über die Frau bestimmt. Also sollten Sie nicht versuchen, die Welt aus den Angeln zu heben, es würde Ihnen nur Kummer und Leid bringen. Nicht einmal unsere verehrte Königin hält etwas davon, wenn Frauen sich gegen die von Gott gewollte Ordnung auflehnen."
Ellen sah ein, daß es nichts bringen würde, ihr Streitgespräch fortzuführen. Gegen die Arroganz des jungen Offiziers kam sie nicht an. "Wollten Sie mir nicht die Gewächshäuser zeigen, Mr. Morier?" fragte sie.
"Natürlich, das hätte ich fast vergessen", sagte er. "Unsere exotischen Pflanzen werden Sie begeistern, Lady Ellen." Er führte sie in einen Seitenweg. "Ihre Mutter erwähnte, daß Sie eine wahre Meisterin auf dem Klavier sind. Ich hoffe, ich werde einmal Gelegenheit haben, Ihrem Spiel zu lauschen."
"Und ich würde mich freuen, für Sie spielen zu dürfen, Mr. Morier", erwiderte Ellen wohlerzogen und fügte in Gedanken hinzu: Wenn ich auch bezweifle, daß Sie etwas von Musik verstehen.
Er öffnete die Tür zu einem der Gewächshäuser. "Bitte, Lady Ellen." Höflich neigte er den Kopf.
Ellen schloß ihren Sonnenschirm. Als sie sich halb umdrehte, sah sie, wie Abigail Cooper eilig auf das Gewächshaus zuging. Sie war froh, daß die Gesellschafterin nicht gehört hatte, über was sie und Edward Morier sich unterhalten hatten.
"Wie heiß und feucht es hier ist", bemerkte sie, als sich hinter ihnen die Tür des Gewächshauses schloß.
"Ja, in der Tat", pflichtete ihr Edward Morier bei. "Aber nur in diesem Klima gedeihen Orchideen wie diese." Er führte sie zu einer Pflanze mit roten, handtellergroßen Blüten, die sich mit dicken Strängen um einen Baumstand schlang. Vorsichtig pflückte er eine Blüte ab und reichte sie ihr. "Als kleine Erinnerung an einen zauberhaften Nachmittag, Lady Ellen."
Dem jungen Mädchen blieb nichts anderes übrig, als die Blüte anzunehmen, wenn sie nicht unhöflich sein wollte. "Danke, Mr. Morier, die Orchidee ist wunderschön."
"Nicht so
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