Flucht ins Glück: Das Geheimnis von Baxter Hall: Von den Eltern verstoßen (Frauenschicksale im 19. Jahrhundert) (German Edition)
schön, wie ein einziger Blick aus Ihren Augen, Lady Ellen", sagte er mit einem galanten Neigen des Kopfes. "Dieser Spaziergang macht mir nichts als Vergnügen."
Ellen antwortete nicht. Stumm folgte sie ihm zu den nächsten Pflanzen. Der kurze Stiel der Orchidee brannte wie Feuer in ihrer Hand. Edward Morier würde erst im Februar nach Indien zurückkehren. Es graute ihr davor, auf ihrem ersten Ball mit ihm zu tanzen, denn eines stand fest, er würde auf der Gästeliste ihrer Mutter stehen.
* * *
"Bitte stehen Sie einen Moment still, Lady Ellen, sonst kann ich das Kleid nicht abstecken", bat Anna Scott. "Es dauert nicht mehr lange."
Ellen unterdrückte einen lauten Seufzer. Seit einer halben Stunde stand sie auf einem hohen Stuhl im Nähzimmer, während Mrs. Scott, die Schneiderin, ihr ein weiteres Ballkleid anpaßte. Auch wenn sie zugeben mußte, daß Anna Scott eine wahre Künstlerin war, die ständigen Anproben ermüdeten sie.
Mrs. Scott überprüfte noch einmal den Sitz des Rockes. Zufrieden nickte sie. "So, Sie sind schon fast erlöst, Lady Ellen. Glauben Sie mir, die Herren werden bei Ihnen Schlange stehen, um sich in Ihre Tanzkarten eintragen zu lassen. Sie werden die schönste Debütantin unter all den anderen jungen Damen sein." Sie reichte Ellen die Hand, um ihr vom Stuhl zu helfen.
"Danke", sagte Ellen. Sie betrachtete sich im Spiegel und mußte zugeben, daß ihr das Kleid, an dem Mrs. Scott nähte, ausgezeichnet stand. Es besaß einen weiten, mit goldenen Straßsteinen bestickten Rock, der sich über vier Unterröcken bauschte, Puffärmel, die aus mehreren Lagen Brüsseler Spitze bestanden und ein sehr enges, ebenfalls mit Straßsteinen besticktes Mieder.
Mrs. Scott blickte ihr über die Schulter. "Dieses Kleid gehört zu den schönsten, die ich je genäht habe, Lady Ellen."
"Es gefällt mir auch sehr, Mrs. Scott, nur der Ausschnitt ist ein wenig zu weit." Es mochte zwar modern sein, auf Bällen einen weiten Ausschnitt zu tragen, dennoch fühlte sich Ellen bei dem Gedanken, sich so zu zeigen, nicht sehr behaglich.
Noch bevor ihr Mrs. Scott antworten konnte, kam die Duchess of Rowland ins Zimmer, um sich das neue Ballkleid ihrer Tochter anzusehen. Die Schneiderin trat bescheiden in den Hintergrund des Raumes. Lady Victoria forderte Ellen auf, sich vor ihr im Kreis zu drehen. Anerkennend nickte sie.
"Der Ausschnitt ist noch zu weit, Mutter", wagte Ellen einen Einwand.
"Der Ausschnitt ist gerade richtig für diesen Anlaß, Ellen", erklärte Lady Victoria. "Du hast keinen Grund, dich so zu zieren. Ein Ball gehört zu den wenigen Gelegenheiten, bei denen es einer Dame erlaubt ist, etwas Haut zu zeigen. Mit Kleidern wie diesem wirst du die Herzen aller Männer erobern."
"Das will ich gar nicht, Mutter", antwortete Ellen in einem Anflug von Trotz.
Lady Victoria warf einen verzweifelten Blick zur Decke. "Was soll man nur mit so einem Mädchen machen?" fragte sie, ohne eine Antwort zu erwarten. Unwillig betrachtete sie ihre Tochter. "Und deine Haltung! Das kommt davon, wenn man ständig den Kopf in ein Buch steckt, oder dasitzt und schreibt. Du solltest mehr Zeit darauf verwenden, dich anmutig zu bewegen. Ab heute wirst du jeden Tag eine Stunde mit einem schweren Buch auf dem Kopf eine aufrechte Haltung üben. Ich werde Miss Cooper bitten, dich dabei zu beaufsichtigen."
"Davon bekomme ich Kopfschmerzen", wandte Ellen ein.
"Besser Kopfschmerzen, als einen Gang wie ein Bauernbursche", erklärte die Herzogin rigoros. "Und hör endlich auf, mir ständig zu widersprechen, Ellen." Sie wandte sich an Mrs. Scott: "Der Ausschnitt bleibt so, wie er ist. Haben Sie mich verstanden?"
"Ja, Mylady", antwortete die Schneiderin eingeschüchtert und knickste.
Noch vor dem Lunch mußte Ellen in die Bibliothek hinunterkommen, um dort mit einem in Leder gebundenem Buch anmutiges Gehen zu üben. Während sie wütend in dem großen Raum auf und ab schritt, saß Abigail Cooper mit einer Stickarbeit in einem der Sessel, um sie zu beobachten. Nie zuvor hatte sie die Gesellschafterin mehr gehaßt, als an diesem Vormittag. Wie beneidete sie ihre Freundin Damaris, die sich noch immer mit Mrs. Morford in Europa aufhielt. Erst am Morgen war ein langer Brief von ihr aus Venedig eingetroffen.
Niemand hinderte Ellen daran, am Nachmittag auszureiten. Sie mußte zwar John, einen der Stallburschen mitnehmen, doch das machte ihr nichts aus. Für einen Penny war John nur zu gern bereit, mit seinem Pferd im Wald zurückzubleiben,
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