Flucht ins Glück: Das Geheimnis von Baxter Hall: Von den Eltern verstoßen (Frauenschicksale im 19. Jahrhundert) (German Edition)
Eltern, durch den Mittelgang gingen und sich auf ihre Plätze setzten. Und dann entdeckte sie Joshua. Er stand neben der Frau des Pfarrers beim Klavier. Vermutlich unterhielten sie sich über eines der Kinder. Als hätte er ihren Blick gespürt, drehte er sich ihr zu. Für einen flüchtigen Moment trafen sich ihre Augen, bevor er sich erneut dem Klavier zuwandte.
Wenig später begann der Gottesdienst. Joshua hatte sich inzwischen neben seinen Vater gesetzt. Ellen mußte sich zwingen, nicht immerfort zu ihm hinzusehen. Es fiel ihr schwer, ruhig sitzenzubleiben und so zu tun, als würde sie nichts mehr interessieren, als die langatmige Predigt das Pfarrers.
Auch am Nachmittag hatten sie keine Gelegenheit, miteinander zu sprechen. Die Zeit reichte noch für einen kurzen Besuch bei ihrer Großmutter, dann mußte sich Lady Ellen bereits zurechtmachen, um ihre Eltern, ihren Bruder und Miss Cooper auf das Nachbargut zu begleiten. Die Moriers hatten sie zum Tee eingeladen. Sir Francis war Richter und für seine Unnachgiebigkeit gegenüber Gesetzesbrechern bekannt. Sein ältester Sohn Edward diente als Offizier in Indien. Vor einer Woche war er für mehrere Monate nach England zurückgekehrt.
Das Anwesen der Moriers lag am Ufer des Tamor und wurde von einem parkähnlichen Garten umgeben, der in Weideland überging, das sich bis zum Flußufer hinzog. Der Vater Sir Francis' hatte Anfang des Jahrhunderts begonnen, exotische Pflanzen zu sammeln. Von seinen Reisen hatte er nicht nur Schößlinge und Samen mitgebracht, sondern auch zwei afrikanische Leibeigene zur Betreuung der Pflanzen. Ihre inzwischen erwachsenen Kinder arbeiten auch heute noch in den Gewächshäusern der Familie. Ellen konnte sich noch daran erinnern, wie sie als kleines Mädchen von der braunen Hautfarbe der Afrikaner fasziniert gewesen war.
Sie waren an diesem Nachmittag nicht die einzigen Gäste der Moriers. Sir Francis und seine Gattin Penelope hatten noch zwei weitere Ehepaare und deren Kinder eingeladen. Da das Wetter überaus schön war, tranken sie den Tee auf dem Rasen vor der Terrasse. Sobald es die Höflichkeit zuließ, verschwand Simon mit dem jüngeren Sohn der Moriers, um sich das neue Pferd zeigen zu lassen, das dieser zum Geburtstag bekommen hatte. Eine Gouvernante kümmerte sich um die kleineren Kinder.
Ellen saß mit ihren Eltern noch immer am Teetisch. Während sie mit halbem Ohr der Unterhaltung folgte, die sich um einen Fall drehte, bei dem Sir Francis in der vergangenen Woche den Vorsitz geführt hatte, weilte sie mit den Gedanken bei Joshua. Gewiß saß auch er um diese Zeit beim Tee, allerdings mit seinen Eltern. Ob er an sie dachte?
Penelope Morier wandte sich ihr mit einem Lächeln zu. "Sie sind schon lange nicht mehr bei uns zu Gast gewesen, Lady Ellen. Edward könnte Ihnen den Park zeigen. Falls Sie sich für Pflanzen interessieren, würde Ihnen sicher auch ein Besuch in unseren Gewächshäusern gefallen."
"Ich halte das für eine gute Idee, Ellen", warf Lady Victoria ein und bemerkte zu ihrer Gastgeberin: "Ellen liebt Pflanzen. Sie ist oft in unserem Park unterwegs, um Pflanzen für ihre Alben zu sammeln."
Edward Morier, der nichts dagegen hatte, der Langeweile der Teegesellschaft entfliehen zu können, erhob sich. "Darf ich bitten, Lady Ellen?" Er neigte leicht den Kopf.
"Gern." Ellen erhob sich ebenfalls. Anmutig griff sie nach ihrem Sonnenschirm und spannte ihn auf. Sie hatte zwar keine Lust mit Edward Morier spazierenzugehen, zumal ihr der junge Mann mit seiner dandyhaften Art nicht sonderlich lag, doch alles war besser, als noch länger Sir Francis zuhören zu müssen.
Es amüsierte sie, als sie bemerkte, wie Abigail Cooper aufstand, um ihnen als Anstandsdame in einigem Abstand zu folgen.
"Wie ich hörte, haben Sie vor einigen Wochen die Schule beendet, Lady Ellen", sagte Edward Morier. "Sie sind sicher froh, der Aufsicht Ihrer Lehrer entronnen zu sein."
"Ich bin sehr gern auf Silbury Castle gewesen, Mr. Morier", antwortete das junge Mädchen. "Und ich hätte nichts dagegen gehabt, noch länger dort zu bleiben. Finden Sie nicht auch, daß man gar nicht genug lernen kann?"
"Das mag für einen Mann zutreffen. Für eine junge Dame gibt es wichtigere Aufgaben, als sich den Kopf mit Buchstaben und Zahlen vollstopfen zu lassen." Er sah sie an. "Vor allen Dingen, wenn man einen so zauberhaften Kopf hat wie Sie, Lady Ellen."
Ellen ging nicht auf seine Bemerkung ein. Sie hoffte, daß Edward Morier nicht zu den Herren
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