Flucht nach Colorado
musste ich meinen Rechner, wenn er kaputtging, selbst auseinander nehmen und reparieren. Dann eröffnete ich eine kleine Werkstatt und verdiente genug Geld, um das College finanzieren zu können."
„Was hast du studiert?"
„Betriebswirtschaft. Aber meine wahre Liebe gehörte den Computern.
Und meine Firma wuchs einfach irgendwie."
„Wer führt sie, wenn du weg bist?"
„Du meinst, wenn ich im Gefängnis sitze?" Er zwang sich, nicht zu bitter zu klingen. Auch wenn er sich dieser Möglichkeit ständig bewusst war, musste er trotzdem versuchen, positiv zu denken. „Meine Schwester kümmert sich um die Buchhaltung,. Ramon Delgado um die Produktion. Er ist in Ordnung."
„Ein Freund?"
Jordan hatte nicht viele Freunde. Er war kein sehr geselliger Mensch. Aber Ramon konnte man durchaus als einen Freund bezeichnen. Er war zehn Jahre älter als Jordan, hatte sechs Kinder und einen unstillbaren Hunger nach Essen, Wein und Fröhlichkeit. „Ramon und ich haben uns vor etwa sieben Jahren zusammengetan, als ich expandieren musste und keine qualifizierte Unterstützung fand: Ramon kam zu mir nach Florida, nachdem er seine eigene Computerfirma in Mexiko hatte schließen müssen. Wir haben uns gut verstanden, hatten dieselben Visionen. Also stellten wir einige seiner ehemaligen Mitarbeiter ein und besorgten ihnen ein Arbeitsvisum. Als sie mit ihren Familien nach Florida kamen, haben wir einen Lehrer engagiert, der ihren Kindern Englisch beibrachte."
Er sah Emily an und sah, dass sie strahlte.
„Was ist?" fragte er.
„Du bist sonst immer so still. Aber wenn du von Florida sprichst, hast du plötzlich eine Menge zu sagen."
„Ich bin stolz auf meine Firma." Er rollte sich auf den Rücken und starrte hinauf zum Sternenzelt. „Wenn ich ins Gefängnis gehe, muss meine Schwester alles verkaufen. Es wäre furchtbar, wenn die Leute ihren Job verlieren."
„Sie sind qualifiziert und werden etwas anderes finden."
„Nicht unbedingt. Eine Greencard zu bekommen ist nicht so einfach, comprende?"
„Du sprichst Spanisch?"
„Si!“
„Ich auch", sagte Emily. „Jedenfalls ein bisschen."
Sie hatte die Grundlagen der spanischen Sprache in Denver gelernt, weil sie mit den Latino-Patienten und deren Familien besser kommunizieren wollte. Nicht nur einmal hatte sie dadurch helfen können, Leben zu retten.
Sie starrte in den Himmel, zählte die blinkenden Sterne und spürte eine angenehme Wärme in sich. Die spanische Sprache war etwas, das sie mit Jordan verband.
Davon abgesehen waren sie sehr gegensätzlich. Sie kamen aus völlig unterschiedlichen Welten mit unterschiedlichen Blumen, Vögeln und Bäumen. Ihre Berufe hätten sich kaum mehr unterscheiden können. Emily arbeitete als Krankenschwester mit Menschen. Jordan hingegen richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf Maschinen.
Der vielleicht beunruhigendste Unterschied lag in ihrer Auffassung von Moral, in den persönlichen Regeln, nach denen sie lebten. Auch wenn Jordans Flucht offenbar von anderen geplant worden war, so hatte er doch die Gelegenheit ergriffen und sich dem Gesetz entzogen.
Emily hingegen war so gesetzestreu, dass sie sogar auf völlig einsamen Bergstraßen den Blinker setzte.
Allerdings hatten sich ihre strengen Vorstellungen von richtig und falsch - der Versuch, es einem in Vietnam ums Leben gekommenen Vater recht zu machen - ein wenig aufgeweicht, seit sie mit Jordan zusammengetroffen war. Sie hatte seine Flucht unterstützt, indem sie die Suchtrupps auf eine falsche Fährte führte. Sie hatte zugesehen, wie er zwei Autos kurzgeschlossen hatte. Und jetzt standen sie davor, einen der Computer des Rettungsdienstes zu stehlen. Wer hätte gedacht, dass sie ein solches kriminelles Potenzial in sich trug?
Sie wandte den Blick von den Sternen ab und starrte auf die Lichter der Stadt. Cascadia hatte außer einem Burger-Restaurant, einem Imbiss und einer Kneipe nicht viel Nachtleben zu bieten. Die meisten Leute aßen nach der Arbeit zu Abend und zogen sich dann zurück.
Trotzdem hielt sie es für sicherer, bis nach neun Uhr zu warten, bevor sie sich dem Büro des Rettungsdienstes näherten.
„In etwa einer Stunde sollten wir uns auf den Weg in die Stadt machen", sagte sie.
„Und was wird aus Pookie?" fragte er.
Als der Hund seinen Namen hörte, blickte er auf und bellte. „Wau?"
„Ja, dich meine ich", erklärte Jordan. „Du bist ein guter Hund, aber in etwa so dezent wie eine Rockband."
Sie hatte nicht bedacht, dass Pookie ein Problem sein könnte,
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