Flucht nach Colorado
gestört."
„Ungeachtet der Tatsache, dass ein entflohener Sträfling in der unmittelbaren Umgebung war?"
„Ed hatte Schmerzen. Er schluckte ein paar Kopfschmerztabletten und schlief ein." Emily gab sich verschlossen, um weiteren Fragen aus dem Weg zu gehen. „Ich kann nicht sagen, was er sich dabei gedacht hat."
„Und dann hat Shane Sie wieder als Geisel genommen."
„Ja", sagte sie.
„Warum hat er nicht das Gewehr von Collins mitgenommen?"
Die Antwort schoss durch ihren Kopf: Weil er kein wahnsinniger Killer ist. Weil er niemanden verletzen will. Weil Sie sich getäuscht haben, Sheriff Litvak. Jordan Shane hat seine Frau nicht umgebracht.
Aber alles, was Emily sagte, war: „Ich weiß es nicht."
Diesen Satz wiederholte sie noch ein paar Mal, bis der Sheriff endlich ging. Er lächelte nicht, als er das Zimmer verließ, woraufhin Emily beschloss, ihn auf die Liste der Verdächtigen zu setzen, die nun aus Deputy Kreiger, Brian Afton und dem Skilehrer Sean Madigan bestand, von dem sie allerdings nicht sonderlich viel wusste.
Nachdem sie gegessen hatte, richtete sie sich vor dem Computer ein und wartete auf Jordans E-Mail. Es war dreiundzwanzig Uhr, als er endlich antwortete.
„Alles okay", schrieb er. „Morgen beginne ich meine Ermittlungen. Ich vermisse dich."
Hastig schrieb sie zurück. „Vermisse dich auch. Sheriff Litvak, könnte er ein Verdächtiger sein?"
Obwohl er in weniger als fünfzehn Minuten antwortete, kam ihr das Warten endlos vor.
Sie öffnete seine E-Mail, in der stand: „Forsche nicht weiter nach. Du hast es versprochen.
Melde mich morgen wieder."
Aber wie konnte er von ihr erwarten, dass sie nichts unternahm? Es war schrecklich, so passiv zu sein. Sie konnte nicht die ganze Zeit tatenlos herumsitzen.
Vier Tage lang gelang es ihr, so zu tun, als ob sie sich erholen müsse. Sie bekam weitere E-Mails von Jordan, in denen er behauptete, dass es ihm gut ging. Ihr hingegen ging es überhaupt nicht gut. Larfgsam fühlte sie sich ernsthaft klaustrophobisch. Seit fünf langen Tagen war sie nicht aus dem Haus gekommen. In ihr hatte sich so viel Energie aufgestaut, dass man damit den Strom einer ganzen Stadt hätte herstellen können. Sie konnte keine Sekunde länger so tun, als ob sie krank wäre. Und warum sollte sie auch?
Inzwischen war die Suche so gut wie eingestellt worden. Die Staatspolizei und die Nationalgarde hatten das Gebiet verlassen. Die Leute auf der Straße erzählten sich, Jordan habe Colorado verlassen und befände sich auf einer unbewohnten Insel vor der Küste Floridas. Das Telefon klingelte. „Hallo?"
„Emily? Hier spricht Ed Collins."
Dass sie sich sogar darüber freute, von diesem unhöflichen, widerlichen Mann zu hören, zeigte nur, wie sehr sie sich langweilte. „Wie geht es Ihnen, Ed?"
„Mein Knie ist operiert worden. Es tut nicht mehr so weh, aber ich kann noch nicht laufen.
Ich bin im Krankenhaus."
Sie beneidete seine Physiotherapeuten nicht gerade. „Ich freue mich, dass es Ihnen besser geht."
„He, hören Sie", rief er ruppig. „Ich wollte Ihnen danken. Für die Erste Hilfe und ... das andere." „Das andere?"
„Sie wissen schon, als Sie mit dem Sheriff gesprochen haben. Sie hätten mich ganz schön in Schwierigkeiten bringen können."
Interessant. Spielte Collins auf die Belohnung an? Auf sein schießwütiges Benehmen?
Oder ging es um etwas völlig anders? Es konnte nicht schaden, ein paar Fragen zu stellen.
„Ich könnte Sie doch eigentlich einmal besuchen? Wie wäre es mit heute Nachmittag?" „Ja, klar. Warum nicht?"
Emily legte auf und merkte, dass ihre Lippen sich zu einem Grinsen verzogen hatten.
Freiheit! Sie brach das Versprechen, das sie Jordan gegeben hatte, ja nicht wirklich. Einen alten Freund am Krankenbett zu besuchen konnte man ja wohl kaum als Ermittlungen bezeichnen. Sie hinterließ Spence eine Nachricht, dass sie jemanden im Krankenhaus in Aspen besuchen wolle, schnappte ihre Jacke, rannte die Treppen hinunter und durch die Tür auf die Straße.
Ihr uralter Landrover stotterte ein paar Mal, bevor der Motor ansprang, doch als sie die Straße erreichte, schnurrte das gute Stück wie geschmiert. Die einstündige Fahrt von Cascadia nach Aspen führte durch eine wunderschöne Berglandschaft. Heute erschien ihr der Blick sogar noch spektakulärer als sonst. Der Schnee hatte die Blätter von den Bäumen gefegt. Man sah nackte Äste und hinter dem dunklen Wald raue Felsen aufragen. Die Berggipfel mit den weißen Spitzen
Weitere Kostenlose Bücher