Flucht nach Faerie - Beil, J: Talisman-Kriege 1 - Flucht nach Faerie
auszusehen, als wüsste er noch, wie man mit der Klinge umging. Einst hätte er diese Gegend mitten in der Nacht unbewaffnet und dennoch mit allem Selbstvertrauen der Welt durchschreiten können. Nun musste er sich regelrecht dazu überwinden, der dunklen Straße weiter zu folgen.
Er hatte gelernt, mit seiner Angst zu leben. Sie war es gewesen, die ihn bewogen hatte, zum Einsiedler zu werden. Angst, gepaart mit Teilnahmslosigkeit. Die beiden gaben ein seltsames Gespann ab – die Furcht davor, nicht in der Lage zu sein, die Welt zu retten, und seine Unfähigkeit, sich etwas daraus zu machen. Jahrelang war er dadurch nutzlos geworden. Und seit er Alek Maurer begegnet war und eingewilligt hatte, ihn hierher zu führen, war die Angst noch gewachsen. Salin Urdrokk war wieder aufgetaucht. Statt sich zu verstecken, wie es jeder vernünftige, machtlose Mensch getan hätte, hielt sich Michael in der Nähe des Gegenstands auf, nach dem der Hexer suchte. Er musste den Verstand verloren haben.
Er verlor sich so sehr in seinen Grübeleien, dass er es beinah nicht bemerkte, als er die kleine Hütte erreichte, in der Shad Flynt früher gehaust hatte. Sie hatte sich in all den Jahren nicht geändert, wirkte lediglich ein wenig verwitterter. Der Einsiedler klopfte viermal an die Tür, und zwar in einer Abfolge, die vor vielen Jahren etwas bedeutet hatte: das geheime Klopfen ihres Kreises.
Nach einer Weile hörte er jemanden langsam auf die Tür zuschlurfen. Ein Klicken ertönte, als ein Riegel zurückgeschoben wurde, dann öffnete sich die Tür einen Spalt. Das Gesicht, das herausspähte, war alt, zerfurcht und zernarbt. Graue Augen wurden argwöhnisch zusammengekniffen und weiteten sich vor Erkennen.
»Bei den Sieben! Als ich das Klopfen hörte, konnte ich es nicht glauben … aber jetzt! Michael, komm herein! Komm herein!«
»Shad?«, fragte Michael sicherheitshalber. Nichts an dem greisen, gebrochenen Mann erinnerte an seinen früheren Gefährten. Er war dürr und stand gebückt. Sein ergrautes Haar war licht und ungekämmt. Als er sich in Bewegung setzte, hinkte er und belastete bevorzugt das rechte Bein.
»Ich bin es«, bestätigte Shad. »Wenngleich ich jetzt Jak heiße. Den alten Jak nennt man mich. Meine Güte, wir haben uns ja ewig nicht gesehen. Was führt dich hierher? Ich vermute mal, dies ist kein Freundschaftsbesuch.«
»Ich fürchte, du hast Recht, alter Freund«, antwortete Michael. Shad stöhnte, als er sich auf einem harten Holzstuhl neben einem schlichten Stuhl niederließ. Michael setzte sich ihm gegenüber hin und ließ den Blick durch das Zimmer wandern. Weder an den Wänden noch auf dem Boden gab es irgendetwas Schmückendes, und außer dem Tisch und den Stühlen befand sich in dem Raum nur ein kleiner Ofen. Ein offener Durchgang führte zu einem winzigen Schlafzimmer.
»Wie zu erwarten. Aber bitte, mach einem alten Mann eine Freude und sag: Was hast du all die Jahre getrieben? Du hast dich überhaupt nicht verändert.«
Michael schüttelte den Kopf. »Gar nichts. Mir wurde alles zu viel; das ständige Planen, um einen Krieg zu fechten, den wir nicht gewinnen konnten; die Zerwürfnisse mit meinen Brüdern.«
»Du hättest dir nicht den Kopf darüber zerbrechen sollen, was sie dachten. Sie waren hehre, mächtige, aufgeblasene Narren. Was ist eigentlich aus ihnen geworden?«
Michael zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht und will es auch nicht wissen. Wir haben schon damals kaum noch miteinander geredet. Aber was ist mit dir? Was hast du so gemacht?«
Shad lächelte traurig. »Die letzten fünfzehn Jahre hocke ich nur noch in dieser Hütte rum und werde älter. Davor war ich am Höhepunkt meiner Laufbahn, doch dann … bin ich von einem Balkon gestürzt. Mein Bein hat sich nie davon erholt. Später kam noch Rotfieber hinzu und raubte mir die Gesundheit. Damit war Shad Flynt tot und begraben. Ich wurde zu Jak und hoffte, all die Feinde, die ich mir im Lauf der Jahre gemacht hatte, würden mich durch einen neuen Namen nicht aufspüren können. Entweder hat es geklappt, oder sie haben entschieden, dass ein alter, armseliger Mann den Ärger nicht wert ist, denn es gibt mich noch immer.«
Michael lächelte mitfühlend, innerlich jedoch zuckte er zusammen. Dieser Greis konnte ihm nicht helfen. Trotzdem schuldete er Shad eine Erklärung für seinen Besuch. »Ich habe ein Problem, Shad. Ich komme aus Bartambuckel und habe drei Kinder bei mir. Eines davon, Alek Maurer, trägt den Talisman der Einheit
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