Flucht nach Faerie - Beil, J: Talisman-Kriege 1 - Flucht nach Faerie
einige wenige Freunde. Trotzdem wuchs meine Verzweiflung weiter, und nur Bier und Wein vermögen, meinen Schmerz zu lindern. Deshalb trinke ich … allerdings geht mir ständig das Geld aus, und ich … ich verabscheue, was aus mir geworden ist.« Außerstande, seine Geschichte zu beenden, ließ er den Kopf auf den Tisch sinken.
Traurig sah Shad die anderen an. »Als wir uns zum ersten Mal begegneten, war er gerade in die Stadt gekommen. Er war zu dünn, geradezu am Verhungern. Ich hatte Mitleid und nahm ihn mit. Mit etwas Essen und freundlicher Gesellschaft wurde er wieder kräftig, und seine Betrübtheit ließ ein wenig nach. Er fand mein altes Schwert und begann, damit zu üben. Er besitzt Kenntnisse der alten Formen, die einst von den alten Schwertmeistern eingesetzt wurden. Wo er sie gelernt hat, will Lorn nicht verraten, aber ich muss sagen, sie haben sich schon einige Male als praktisch erwiesen. Wisst ihr, durch diese Straßen zieht auch zwielichtiges Gesindel, für das ein alter Mann einfache Beute ist. Aber nicht, wenn ich mit Lorn unterwegs bin.
Aber dann, vor einem Jahr, erfuhr Lorn Neuigkeiten, die seinen Mut gebrochen haben. Spart euch die Mühe, ihn danach zu fragen; er hat es nicht einmal mir preisgegeben. Jedenfalls hat es ihn in seine alte Verzweiflung zurückgeworfen. Er begann wieder zu trinken und verlor seine Arbeit. Seine anderen Freunde haben ihn aufgegeben. Er ist zwar nie richtig glücklich gewesen, trotzdem dachte ich, dass wir Fortschritte erzielen. Ich dachte, er könnte gerettet werden.« Er bedachte Lorn mit einem Blick, aus dem Mitgefühl und Zuneigung sprachen. »Das glaube ich noch immer.«
Lorn hob den Kopf und holte tief Luft. Alek vermeinte, die Anspannung regelrecht zu spüren, die von dem Mann ausging. Es kostete ihn gewaltige Mühe, die anderen anzusehen und zu sprechen. »Nachdem ich vergangene Nacht von hier weggegangen war, fanden mich Shad und Michael bewusstlos auf der Straße. Sie haben bis spät in die Nacht hinein auf mich eingeredet und mich damit bedrängt, euch nach Faerie zu bringen. Shad hält das für meine letzte Gelegenheit, Erlösung zu finden. Ich für meinen Teil glaube nicht an Erlösung, nicht für jemanden, der so tief gefallen ist wie ich. Dennoch kann ich nicht hier bleiben. Dieses Leben, das ich mir aufzubauen versucht habe, ist fehlgeschlagen. Außerdem kann ich meinem letzten Freund seinen Wunsch nicht abschlagen. Ich werde euch hinführen und euch mit meinem Leben beschützen.«
Alek wusste nicht, was er davon halten sollte, doch Kraig zeigte sich alles andere als überzeugt. »Verzeih, wenn ich kein Mitleid für dich empfinde. Jeder hat im Leben die Wahl. Du hättest kein Trunkenbold werden müssen, ganz gleich, was für entsetzliche Neuigkeiten du erfahren hast. Dein Bruder hat dich also aus deiner Heimat verstoßen – na und? Warst du nicht Manns genug, dir ein neues Zuhause zu schaffen? Oder dich aufzubäumen und Gerechtigkeit zu verlangen? Ich schaue dich an und sehe nur Schwäche.«
Einen Lidschlag lang dachte Alek, ein Kampf würde ausbrechen. Zum ersten Mal begegnete Lorn dem Blick des Friedenswächters, und ein Feuer loderte in seinen Augen auf. Seine zuvor lasche, teilnahmslose Haltung schlug jäh in Stärke und Entschlossenheit um. Er ballte die Hände zu Fäusten und schlug auf den Tisch.
Doch die Leidenschaft verpuffte so schnell, wie sie aufgeflammt war. Das Feuer erlosch; Lorns Augen wurden wieder grau, sein Körper erschlaffte und wirkte kraftlos. »Schwäche? Ja. Ich bin schwach geworden. Aber ich war nicht immer so. Einst, in meiner Jugend, reiste ich stolz mit meinem Vater und meinem Bruder nach Faerie, um den Elbenkönig als Gesandte unseres Landes zu treffen. Wir trotzten den wilden Landen furchtlos und betraten den magischen Wald des Elbenvolks mit erhobenen Häuptern. Ich bin in der Tat tief gesunken, trotzdem kenne ich immer noch den Weg nach Faerie. Wenn euch jemand hinführen kann, dann ich. Ich flehe euch an – ich habe sonst keinen Zweck im Leben. Meine Träume sind zerborsten. Erlaubt mir, euer Führer zu sein. Tut ihr es nicht … kehre ich zu Bier und Wein zurück. Wie du richtig sagst, bin ich schwach.«
Eine lange Weile herrschte Stille, und Alek sah seine Gefährten an. Kraig saß mit steinerner Miene da und schwieg. Michaels Gedanken blieben hinter seinem ruhigen, blassen Antlitz verborgen. Sarahs Augen hingegen verrieten Mitgefühl, und ihr Mund kräuselte sich traurig. Eine Träne kullerte ihr über die
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