Flucht nach Faerie - Beil, J: Talisman-Kriege 1 - Flucht nach Faerie
gelänge, Michael zu zwingen, diese Leidenschaft irgendwie zu nützen, würde er den Einsiedler vielleicht ein für alle Mal aus seiner niedergeschlagenen Stimmung locken.
Zuerst Sarah, jetzt Michael. Was bin ich, der Priester der Gruppe?
»Du scheinst viel über dieses Buch zu wissen, aber ich habe es dich noch nicht aufschlagen gesehen, seit Horren es dir gegeben hat. Hast du es schon früher gelesen?«
»Ich habe es nie gelesen, aber viel darüber gehört, was es enthält. Es ist die umfassendste Geschichte der Willformer und des Willformens, die je verfasst wurde und nennt sich
Das Buch des Einen
.«
»Warum hat Horren es dir gegeben?«
Michael schüttelte den Kopf und zog die Augenbrauen hoch. »Er glaubt, es könnte mir helfen. Ich bin seit vielen Jahren nicht mehr unter dem Antlitz des Einen gewandelt. Horren denkt, das Buch würde mich an den Mann erinnern, der ich einst war, und mich wieder in diesen Mann verwandeln.«
Alek beugte sich näher zu dem Einsiedler und setzte eine ernste Miene auf. Er spürte, dass er zu etwas vordrang. Leise fragte er: »Und wer genau warst du, Michael? Wer bist du?«
Die einzige Antwort bestand aus einem kalten, ehernen Schweigen.
Alek schüttelte den Kopf und verzog das Gesicht. »Na schön«, sagte er. »Behalt dein kleines Geheimnis. Spielt keine Rolle, wer du warst oder bist. Was zählt, ist, dass du hier bist und uns hilfst. In Bartambuckel ist etwas Entsetzliches geschehen, und du unterstützt uns bei dem Versuch, die Dinge wieder ins rechte Lot zu bringen. Du kannst tun, als wäre dir alles egal, so lange du willst, aber der Umstand, dass du hier bei uns bist, beweist, dass dem nicht so ist. Warum schließt du dich uns morgen nicht an? Ich meine, wandere neben uns, rede mit uns, gib uns deinen Rat, wie du es früher getan hast. Du kannst also nicht willformen … Ich bin nie jemandem begegnet, der es kann. Du weißt mehr von der Welt als jeder andere, den ich kenne, und deine Weisheit hat uns bis hierher gebracht. Ohne dich wären wir mittlerweile tot, und Salin hätte den Talisman. Wir brauchen dich, aber nicht als schmollendes Anhängsel. Wir brauchen
dich
.«
Mit unsicherem Blick zögerte Michael, dann presste er die Lippen aufeinander und nickte entschlossen. »So sei es. Ich werde an Hilfe anbieten, was ich kann. Danke, Alek. Ich bezweifle, dass die anderen so viel Vertrauen in mich setzen, wie du es zu tun scheinst. Und jetzt geh. Du brauchst Schlaf, und die Nacht verstreicht.«
Alek nickte und begegnete Michaels Blick noch einige Augenblicke lang vielsagend, dann stand er auf und ging zu seiner Decke. Als er zurückschaute, sah er, wie der Einsiedler Horrens Buch aufschlug und sich hinabbeugte, um im Licht des Mondes darin zu lesen. Alek legte sich hin und glitt alsbald in einen tiefen, zufriedenen Schlaf.
Kraig starrte in die dunkle, stille Nacht. Er hockte auf einem umgestürzten Baumstamm und hatte von dort freie Sicht auf das Lager und die Umgebung. Sarah schlief friedlich in ihre Decken gehüllt, Alek unterhielt sich mit dem Einsiedler. Lorn lag in der Nähe, aber Kraig bemerkte, dass der Krieger nicht schlief. Er wälzte sich ständig hin und her, fuhr sich gelegentlich mit den Händen durchs Haar oder über den Bart und murmelte etwas bei sich. Nicht zum ersten Mal fiel Kraig auf, dass sich der große Mann merkwürdig verhielt, vor allem nachts, wenn er sich unbeobachtet wähnte. Lorn wirkte furchtsam und besorgt, Gefühle, die er tagsüber gekonnt vor den anderen verbarg. Nachts jedoch, in der Finsternis, gelang es ihm nicht, die Ängste und Albträume zu unterdrücken, die ihn zu überwältigen drohten.
Kraig sorgte sich um Lorn, noch mehr jedoch darum, was geschehen würde, sollten die Ängste des Kriegers ihn handlungsunfähig machen. Wer würde sie dann nach Faerie führen? Michael? Kraig war immer noch nicht bereit, sein Vertrauen in den Einsiedler zu setzen, zumal Michael seit Bordonstett nur als mürrische Totlast hinter ihnen dreinstapfte. Sie waren von Lorn abhängig, und sollte der Krieger in seine alte Gesinnung zurückverfallen, würden sie ihr Ziel höchstwahrscheinlich nie erreichen.
Entschlossen erhob sich der Friedenswächter und ging zu Lorn hinüber. Er kniete sich neben den Krieger, der sich ruckartig aufsetzte, als er bemerkte, dass er nicht mehr alleine war. Schweiß bedeckte sein Gesicht, seine Augen wirkten vor Panik wirr.
»Bei Lars«, stieß er hervor und beruhigte sich mit langsamen, tiefen Atemzügen. »Du hast mich
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