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Flucht über den Himalaya

Flucht über den Himalaya

Titel: Flucht über den Himalaya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Blumencron
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ganz viele Menschen in Deutschland erfahren!«
    »Kannst du eine Kabelträgerin brauchen?«
    »Ich weiß nicht, ob man im Schnee mit Kabeln dreht. Aber es wäre toll, wenn du mitkommst.«

Suja, der Wujing
    » Ich arbeitete vier Jahre lang als Wujing bei der chinesischen Armee. Die Aufgabe eines Wujings ist es, Leute zu verhaften, zu verhören, zu foltern und zu exekutieren. Bei den Verhören, denen ich beiwohnte, wurden vor allem elektrische Schlagstöcke, Stromgeneratoren, Zacken- und Hakenmesser verwendet, um die Häftlinge zum Reden zu bringen. Manchmal trieb man ihnen Bambussplitter unter die Nägel. Außerdem ließ man die Häftlinge tagelang, manchmal bis zu einer Woche nicht schlafen. Sobald der Häftling einnickte, wurde er mit einer großen Nadel gestochen. Irgendwohin. Wir hatten auch ein spezielles Halsband, das an der Innenseite Dornen hatte. Wenn der Häftling einschlief, trieb es ihm die Dornen in Hals und Kopf. Eine andere Methode war, eiskaltes Wasser auf ihn zu schütten. In Tibet ist es sehr kalt, es ist kaum auszuhalten, wenn du mit kaltem Wasser überschüttet wirst.
    Meinem Vorgesetzten, der ebenfalls ein Tibeter war, habe ich es zu verdanken, daß ich nie jemanden exekutieren oder foltern mußte. Ich arbeitete als Gefängniswärter. Ich mußte die Häftlinge zu den Verhören holen und hinterher wieder in die Zelle zurücktragen. Da ich sowohl Tibetisch als auch Chinesisch spreche, wurde ich auch als Übersetzer eingesetzt. Und so habe ich viel Folter gesehen in diesen vier Jahren … «
SUJA
    Sie haben den Häftling mit Lederriemen an einen Stuhl festgebunden. Er muß etwa sechzig Jahre alt sein. Vielleicht auch fünfzig? Man altert schnell in chinesischen Gefängnissen. Sein Körper wirkt zerbrechlich wie der eines hungrigen Kindes. Und sein faltiges Gesicht ist von der starken UV-Strahlung in den Bergen gegerbt. Wie oft mag er wohl über den Himalaya gewandert sein, hin und her zwischen Indien und Tibet?
    Sie hatten den Tip von einem anderen Häftling bekommen, den sie in der Grenzregion mit verdächtigem Gepäck erwischten. Erst hatte er nicht reden wollen, doch schon beim Anblick der Schlagstöcke kritzelte er hastig eine Liste mit Namen auf das Protokollpapier, die Suja sogleich ins Chinesische übertragen mußte: Namen von Guides, die Flüchtlingsgruppen aus Tibet herausbringen, und Namen von Grenzgängern, die verbotene Bücher und Schriften des Dalai Lama nach Tibet hereinschaffen.
    Sein vorgesetzter Offizier war der erste Mensch, der Suja vom ›Dalai‹, wie er ihn abfällig nannte, erzählt hatte: »Alles, was aus Dharamsala in unsere Heimat kommt, ist gefährliches Propagandamaterial, denn der Dalai ist ein Staatsfeind der chinesischen Regierung. Er trachtet nach einem eigenen Staat für die Tibeter, obwohl Tibet untrennbar zu China gehört, wie das Baby in den Schoß seiner Mutter. Deshalb hat China im Jahre 1959 den ›kleinen Bruder Tibet‹ endlich nach Hause geholt. Der Dalai will das nicht akzeptieren, denn er ist herrsch- und geltungssüchtig. Seit fünfzig Jahren versucht er vom Exil aus Unruhe und Unzufriedenheit zu säen. Dabei war es die chinesische Regierung, die Modernisierung und Fortschritt in dieses rückschrittliche Land gebracht hat, in dem die Menschen früher wie Barbaren leben mußten: ohne Straßen und Fabriken. Ohne Elektrizität und fließendes Wasser. Ohne Schulen und Krankenhäuser. Der Dalai und seine Vorgänger beuteten ihre Untertanen schamlos aus, um ihren aufwendigen Mönchsstaat zu finanzieren. Eine dünne Oberschicht von blutsaugenden Aristokraten und Mönchen lebte in Saus und Braus. Alleine der Dalai hatte zwei Paläste – einen für den Sommer und einen für den Winter! Deshalb sind die Chinesen gekommen, um das unterjochte Volk von seiner herrschenden Elite zu befreien.«
    Suja verbrachte seine frühe Kindheit im Schatten eines chinesischen Militärcamps. Seine Mutter hütete die Schafe und Yaks der Armee. Sein Vater war Vermittler zwischen den tibetischen und chinesischen Bewohnern der Region, denn er sprach beide Sprachen fließend. Die Soldaten waren immer freundlich zu Suja gewesen und luden ihn oft in ihr Armeekino ein, wo all die chinesischen Filme mit lautem Kampfgeschrei über die versiffte Leinwand flimmerten. Da saß nun Suja – kaum älter als fünf – in einem dunklen Saal, beschützt von lauter grünen Uniformen, und durfte die Schlagfertigkeit der Kung-Fu-Helden bewundern, die ihre bösen Widersacher mit kunstvoll gesetzten

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