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Flucht über den Himalaya

Flucht über den Himalaya

Titel: Flucht über den Himalaya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Blumencron
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Boß schickt einen der Helfer um kaltes Wasser.
    »Bitte«, sagt Suja leise, »das hier ist nicht mehr menschenwürdig.«
    »Du mußt das so sehen: Diese Maßnahmen sind der rettende Ast, den man einem Ertrinkenden ins Wasser hält. Er muß schon selber danach greifen, um das rettende Ufer zu erreichen«, sagt der Boß und kratzt sich mit dem Daumennagel die Reste des Curryhuhns von seiner Jacke: »Wer stur bleibt, wird sich selbst zugrunde richten.«
    Die Helfer kommen mit dem Wasser, doch der Boß befiehlt Suja, den Häftling loszubinden. Ihm ist die Laune für heute vergangen. Die Luft riecht nach verschmortem Fleisch.
    Kraftlos gleitet der Bewußtlose in Sujas starke Arme. Er ist leicht, wie ein junger Vogel, den der Wind aus seinem Nest geblasen hat. Behutsam trägt Suja ihn zurück in seine Zelle. Hier ist er sicher vor reißenden Wölfen, Leoparden und all dem Bösen auf der Welt.
    »Kushola, es ist vorbei«, sagt Suja, und der Alte blinzelt.
    Bevor der Wujing geht, deckt er sein Vogeljunges zu.

Zurück in Köln
    Feldsalat und Chicorée, Ananas und frische Feigen, Camembert, Baguette, Mandelmus und Krokantschokolade. Der Beutezug durch den Supermarkt nach meiner ersten Himalaya- Reise war erfolgreich. Jetzt kann ich mich beruhigt in meiner kleinen Dachwohnung verbarrikadieren und die Idee, einen Dokumentarfilm über tibetische Flüchtlingskinder zu drehen, auf zwei Zettel niederschreiben. ›Exposé‹ nennt man so was in der Fachsprache. Auf das Deckblatt klebe ich das Foto eines kleinen ladakhischen Jungen mit einer dicken Pudelmütze. Aus seinen traurigen Augen blickt er in die Welt, als hätten ihn seine Eltern aus Tibet ins Exil geschickt. »Hoffentlich kommt mir nie einer auf diesen Schwindel drauf !« denke ich und wähle die Nummer einer Bekannten, die bei einer renommierten Filmfirma in München arbeitet. Evi reagiert skeptisch:
    »Dieses Thema ist zu heiß für einen öffentlich-rechtlichen Sender. Die haben doch alle Austauschprogramme mit China! Meiner Meinung nach kann es sich heute niemand mehr leisten, einen antichinesischen Film zu senden.«
    »Aber ich mache doch China nicht schlecht! Ich möchte nur sagen, wie es ist: daß in Tibet etwas nicht stimmen kann, wenn Mütter ihre Kinder über das höchste Gebirge der Welt ins Exil schicken, ohne zu wissen, ob sie einander jemals wiedersehen. – Das wird übrigens der erste Satz in meinem Film sein.«
    »Du bist dir ja sehr sicher, diese Doku zu machen.«
    »Mit oder ohne euch.«
    »Ich meine, die Geschichte an sich ist wirklich gut, aber …«
    »Mein Exposé wird dir die Tränen in die Augen treiben!«
    »Dann schick doch mal«, sagt Evi und legt auf.
    Geschafft. Als nächstes werde ich Jürgen gestehen, daß ich mich in einen Ladakhi verliebt habe.
    »Ein Ladakhi? Was ist das – eine Hunderasse?« fragt er mich bei einer Tasse Milchkaffe im Römerpark-Café. Und meine tibetische Chuba, die ich mit Würde trage, findet er zum Kotzen: »Westlich verklärte Anbiederung an die Kultur einer Minderheit, genauso lächerlich wie ein Eskimo im Dirndl oder ein Indianer in Lederhosen.«
    Als ich ihm von meiner Dokumentarfilm-Idee erzähle, wird Jürgen endlich friedlich: »Ein wirklich tolles Thema. Mit so was kann man den bayerischen Filmpreis gewinnen!«
    »Ich pfeif’ auf den Filmpreis! Ich will der Welt erzählen, was für ein Unrecht in Tibet geschieht!«
    Eine Woche später erhalte ich einen Anruf aus Mainz. Evi hat ohne mein Wissen das Exposé mit dem ladakhischen Pudelmützenkind auf dem Deckblatt zum ZDF geschickt. Der Redakteur hat eine ruhige, angenehme Stimme, und ich bekomme die Krise, weil gerade heißes Wachs an meinen Beinen klebt. Wie soll man einem ZDF-Redakteur plausibel erklären, daß das Wachs, wenn es einmal heiß aufgetragen ist, so schnell wie möglich gegen die Haarwuchsrichtung heruntergerissen werden muß (samt unliebsamer Behaarung natürlich), weil es sonst zu spröde wird und sich nur noch mit dem Küchenschaber von den Beinen kratzen läßt. Daß dies außerdem ein Spezialwachs aus Spanien ist, wo die Frauen in der Regel intensiver unter ihrer Beinbehaarung leiden als in Norddeutschland und Skandinavien, und ich nach einer vierwöchigen Bergtour aussehe wie eine andalusische Zigeunerin unter den Volants ihres knöchellangen Rocks …
    »Ja, hier spricht Maria Blumencron, entschuldigen Sie, ich hatte gerade ein Auslandsgespräch auf meiner anderen Leitung.«
    Der Tonfall des Redakteurs verrät Interesse an meiner

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