Flucht über den Himalaya
kultigen Green-Hotel kennenlerne: »It was His Holiness who told me to come. And so I’m here.«
Manchmal wäre ich auch gerne einer dieser relaxten New- Age-Touristen, die langsamen Schrittes, eingehüllt in dunkelrote Ponchos, mit Nasenring und einem tätowierten ›Om‹ über dem Bauchnabel wie ferngesteuert durch den Dharamsalamer Nieselregen wandeln, um in der Nähe ›Seiner Heiligkeit‹ der Erleuchtung ein paar Zentimeter näher zu kommen. Dann hätte ich wahrscheinlich kein Problem mit meiner Schilddrüse, die sich bei Streß wie ein hyperaktives Kind verhält, das zur Frühförderung muß. Nein, ich werde nie Zeit für ayurvedische Massagen, spirituelle Teachings und tibetische Astrologie haben, I am always busy. Heute habe ich eine Verabredung mit meinem Kontaktmann. Es ist ihm gelungen, einen Guide ausfindig zu machen, der bereit ist, meinen Kameramann und mich auf eine geführte Flucht über den Himalaya mitzunehmen. Der Zeitpunkt der Flucht und die geplante Route stehen bereits fest: Eine etwa fünfzehnköpfige Gruppe wird Anfang Februar von Lhasa aus in Richtung der Berge starten.
»Diesen Winter schon?« frage ich ungläubig meinen Kontaktmann. Es erscheint mir zu bald und vor allem zu kalt !
Wir sollten froh sein, mit unserem schweren Kamera- Equipment über eine gefrorene Schneedecke laufen zu können, erklärt man mir, anstatt bis zum Bauch im geschmolzenen Matsch zu versinken. Das Frühjahr und der Sommer seien eine gefährliche Zeit, in der Flüchtlinge – vor allem Kinder – in der Regel die schwersten Erfrierungen erleiden. Denn untertags sind die Temperaturen mild, und die Flüchtlinge holen sich schnell nasse Füße im schmelzenden Schnee. Nachts fällt das Barometer dann auf bis zu zwanzig Grad minus herab, Schuhe und Klamotten frieren am Körper an. Dieses Argument leuchtet mir ein.
»Welche Route werden wir gehen?« frage ich.
»Das wird der Guide im letzten Moment entscheiden.«
Seit Monaten hänge ich jeden Abend vor dem Schlafengehen über meiner großen Tibet-Karte und versuche anhand der Reliefs und Farben und mit Hilfe der gekennzeichneten Wege, Straßen und Höhenverhältnisse zu eruieren, welcher Fluchtweg der sicherste sein könnte. Tibet ist so groß wie Westeuropa, und der Himalaya ein weitläufiger Schutzwall im Süden des Landes, an dem es viele undichte Stellen zu geben scheint, durch die man in die Freiheit schlüpfen kann. Obwohl ich noch nie in meinem Leben in Tibet war – die Landkarte des ›Schneelandes‹ ist mir mittlerweile vertrauter als der Stadtplan von Wien.
»Wann werde ich den Guide kennenlernen?« frage ich.
»Kurz bevor es losgeht.«
Zurück in Deutschland, beginnt die harte Phase meiner Vorbereitungen. Seit ich nicht mehr bei Dreharbeiten rumhänge, gibt es für mich nur noch einen Ort, an dem ich nette Typen kennenlernen kann: den Kölner ASV. Ein exklusives Fitneß-Studio, in dem hart gegen Speckröllchen, Cellulitis und Schwabbelbäuche vorgegangen wird. Holger ist der beste Sportlehrer der Welt und somit der Mann, den ich brauche. Zumindest für die nächsten vier Monate.
Der junge Foodcoach und Lauftrainer erarbeitet einen genialen Ernährungsplan für mich. Und da es in Köln außer dem Dom keine Berge gibt, treibt mich Holger beim Joggen in eine Atemlosigkeit, die mit dem Sauerstoffmangel in extremer Höhe vergleichbar ist. Bei schlechtem Wetter muß ich zum Kältetraining frühmorgens in den Liblarer See – und zwar genau an der Stelle, wo dunkle Schlingpflanzen nach jungen Schwimmerinnen greifen, um sie heißhungrig in die Tiefe zu ziehen. – Ich soll meine Ängste abbauen und Vertrauen in die Natur bekommen. Bereits nach drei Monaten fühle ich mich fit für den Paß.
Und trotzdem: Je näher die Dreharbeiten rücken, desto größer wird die Angst: Rechtfertigt ein Film, der über die Not der Tibeter aufklären will, die Gefahren, die der Guide und die Flüchtlinge auf sich nehmen müssen? Geht es mir wirklich um die Kinder Tibets, oder liebäugle ich in der hintersten Kammer meines Herzens nicht doch mit dem bayerischen Fernsehpreis? Wen möchte ich besiegen? Die Chinesen? Einen sechstausend Meter hohen Paß?
Suja im Bunker
» Es war in der Zeit mit diesem alten Mönch, als ich begann, über all das nachzudenken, was in unserem Armeegefängnis geschah. Ich konnte nachts nicht mehr schlafen. Mein Blut kochte vor Wut, und allmählich begann ich, die Chinesen zu hassen.
Der alte Mönch tat mir leid, und ich wollte ihm helfen.
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