Flucht über den Himalaya
Bauer ist kurz angebunden: »Ich kredenze gerade Kürbiscremesuppe. Können Sie später noch mal anrufen?«
Wie lange braucht ein Schweizer für seine Suppe?
Zwei Stunden später rufe ich nochmals an. Manuel Bauer ist nicht sehr begeistert darüber, daß ich dieses Thema, das er in mutiger Pionierarbeit erschlossen hat, nun für ein Massenpublikum noch einmal »aufwärmen« will. Ich bleibe hartnäckig und habe am Ende des Gesprächs, was ich will: das erste Date mit einem Schweizer. In drei Tagen. Am Hauptbahnhof Winterthur.
»Wie erkenne ich Sie?«
»Ich bin klein und häßlich«, sagt Manuel Bauer.
Als ich in der menschenleeren Bahnhofshalle von Winterthur stehe, ist klar, daß der kleine, häßliche Schweizer unsere Verabredung vergessen hat.
»Bin schon unterwegs!« ruft er, als ich ihn per Handy aus dem Bett schmeiße.
Die Informationen, die mir Herr Bauer in einem gemütlichen Schweizer Bistro kredenzt, sind düster: Die Sache ist wirklich gefährlich – vor allem für den Guide und die Flüchtlinge. Wenn sie zusammen mit einem Filmteam erwischt werden, drohen ihnen Haft und Folter. Die Wahrscheinlichkeit, daß der Guide heil davonkommt, ist sehr gering.
Außerdem habe man da oben nie genug zu trinken, weil nachts das Wasser in den Flaschen friere. Wenn der Urin dann ganz dunkel und zähflüssig werde, stehe man kurz vor einem Nierenversagen. Und bei Schneesturm sollte man in der dünnen Luft besser gar nicht mehr atmen, weil sich die Schneekristalle in der Lunge festsetzen – langsames und qualvolles Ersticken sei die Folge. Was Herr Bauer sonst noch sagte, weiß ich nicht mehr so genau, weil seine Augen so blau sind wie zwei Gletscherbonbons, durch die die Sonne ihr kristallisierendes Licht wirft.
»Wie groß bist du eigentlich?« frage ich Manuel, als wir das Bistro verlassen.
»Einen Meter vierundsiebzig«, sagt er.
Laut Paß bin ich genauso groß. Gleich alt sind wir natürlich auch. Und unsere Lieblingsfarbe ist Blau.
Beim Abschied sage ich ihm, daß er nie mehr von sich sagen soll, klein und häßlich zu sein.
Wie lange braucht ein Schweizer, bis er versteht, daß das eine Verliebtheitserklärung ist?
»Hoffentlich ewig«, meint Jürgen im Römerpark-Café.»Hast du ihn gefragt, wie du eine Flüchtlingsgruppe findest?«
»Habe ich vergessen.«
Zwei Monate später reise ich nach Dharamsala, der größten tibetischen Gemeinde im Exil, Domizil des Dalai Lama und Sitz der tibetischen Exilregierung.
D-H-A-R-A-M-S-A-L-A. Wie die geblähten Segel eines Schiffes trägt der wohlklingende Konsonantenreichtum jedes Jahr Tausende von Sinnsuchenden aus aller Welt in dieses kleine Örtchen. Der eher nüchterne Charakter kann das zweite ›A‹ dieses magischen Wortes auch stillschweigend unter den Tisch fallen lassen. ›Denke einfach an Darmsalat, dann kommst du sicher an.‹ Diesen Tip hat mir der nette Schweizer mit den Gletscheraugen gegeben.
Doch wer in Dharamsala nach Tibetern sucht, wird sich bald wie zu Ostern ohne Eier fühlen. Denn die tibetische Siedlung befindet sich gar nicht in diesem durchwegs indischen Städtchen, sondern thront oberhalb auf einem Berg und nennt sich McLeod Ganj. Man denke einfach an Köln-Hürth oder München-Pasing, dann hat man es: Dharamsala-McLeod Ganj.
Mit dem Propellerflieger geht’s von Delhi aus eineinhalb Stunden schnurstracks in den Norden, wo der Himalaya sanft in die Vorberge von Himal Pradesh ausläuft. Wer feige oder pleite ist, muß sich dreizehn Stunden im Nachtbus durchrütteln lassen. Ich bin beides.
Die Vorbereitungen für meinen Film brauchen viel Zeit. Seit einem Jahr beschäftige ich mich mit nichts anderem mehr. Zum Glück glaube nicht nur ich an mich, sondern auch der freundliche Angestellte der Stadtsparkasse KölnLindenthal. Ihm habe ich zu verdanken, daß ich von meinem Vermieter nicht vor die Tür gesetzt werde.
Dharamsala-McLeod Ganj wird in vielen Artikeln und Fernsehbeiträgen gerne als ›idyllisch‹, ›beschaulich‹ und ›malerisch‹ beschrieben. Das rührt wahrscheinlich daher, daß sich das Domizil des Dalai Lama in einem romantisch-verträumten Ambiente besser denken läßt als in einem Haufen recht häßlicher Häuser, die drei schlammige Straßen säumen. Der ›Palast‹ des Dalai Lama ist nichts anderes als ein schlichter Bungalow, der jedes deutsche Reihenhaus an Luxus unterbietet. Sehr sympathisch.
»Two months ago I was spontaneously called during a meditation«, erzählt mir ein junger Amerikaner, den ich im
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