Flucht über den Himalaya
grinst. Ich erzähle ihm von meinem Projekt und frage, ob Sotsi eine Flüchtlingsgruppe aus Tibet holen könnte, der wir von der nepalesischen Seite des Himalaya her entgegengehen. Pema übersetzt mein Anliegen. Es folgt ein langer Wortwechsel zwischen den beiden Männern, aus dem ich vergeblich ein paar Wörter aufzuschnappen versuche.
»O.k.«, sagt Pema schließlich, »das Ganze ist so: Wenn Sotsi morgen nach Tibet aufbrechen würde, wäre er frühestens in zwölf Tagen in Lhasa. Dann bräuchte er mindestens eine Woche, um die Flüchtlinge zusammenzusammeln und zehn Tage, um sie bis an die Grenze zu bringen. Bis nach Kathmandu sind es dann noch einmal etwa zehn Tage. Alles in allem mehr als ein Monat. Deshalb folgender Vorschlag: Vor ein paar Tagen ist ein Freund von uns nach Tibet zurückgegangen. Er ist auch Guide und müßte bald in Lhasa ankommen. Wir können ihn mit einem Bee Beeji kontaktieren.«
»Ein Bibidschi?«
»So ein kleines Ding, auf dem man eine Nachricht hinterlassen kann. Wir können Nima ausrichten, daß er uns anrufen soll.«
»Er heißt Nima?«
»Ja.«
»Und das klappt?«
»Sure. Wir machen mit Nima einen Treffpunkt aus und gehen ihm dann entgegen.«
»Hören die Chinesen nicht alle Auslandsgespräche ab?«
»Wir wissen schon, wie wir miteinander kommunizieren müssen.«
»Aber so ein Date im Himalaya scheint mir ziemlich unzuverlässig. Ich meine, wir können mit dem Kamerakrempel maximal fünf Tage da oben im Schnee warten, wenn die Gruppe nicht zum vereinbarten Zeitpunkt kommt.«
»Nima ist der Beste. Wenn er sagt, er kommt am Neunten, dann ist er auch am Neunten da.«
»Ich brauche einen Dolmetscher, mein Tibetisch ist sehr ›tchungtchung‹ – sehr klein. Kommst du mit?«
»Wenn du uns auch so einen warmen Schlafsack kaufst –«
»Von mir aus auch Schuhe und lange Unterhosen.«
»O.k.«, sagt Pema. »Let’s make a contract.«
Noch am selben Abend stehen wir unschlüssig vor der vollgestopften Auslage des Himalaya-Shop, einem der unzähligen Trekking-Läden im Herzen des Thamel.
»Pema, du mußt mit dem Nepali handeln. Ich hab’ da als Europäerin keine Chance !«
»O.k., Zazie, let’s go!«
Der etwas kleingewachsene Nepali hinter der Verkaufstheke begrüßt uns mit einem strahlenden ›Namaste‹. Wahrscheinlich hat er den ganzen Tag vergeblich auf Kundschaft gewartet. Normalerweise wandern die Guides mit Turnschuhen und einer Wolldecke statt Schlafsack über die weiße Grenze. Aber Pema und Sotsi gehören nun zu meinem Team. »Gleiche Rechte und gleiche Pflichten für alle, die in diesem Boot sitzen«, habe ich der Produktionsfirma in München gemailt und um einen Zuschuß für Bergausrüstung gebeten. »Namaste«, sage ich lächelnd und krame umständlich nach meiner Einkaufsliste – zu lange, denn schon kommt die gefürchtete Frage des Verkäufers: »Wohin geht es denn, Madam? Zum Mount Everest Base Camp?«
Ja klar, warum nicht! Da gehen ja alle rauf. Warum nicht auch wir?
»Yes. Everest Base Camp«, antwortet Pema schnell.
»Oh!« Theatralisch zieht der Nepali die Luft durch seine Nase: »Das ist eine sehr kalte Gegend!«
Als ich meine lange Liste auf die Ladentheke lege, beginnen seine Augen zu leuchten.
Wasserdichte Schneehosen, Anoraks, Schuhe, einen großen Kocher …
»Kann man bei Ihnen auch Schlafsäcke leihen?«
»Für wie viele Tage?«
»Vier Wochen.«
»Vier Wochen! Das ist sehr lang! Sagen wir 25 Rupees pro Tag.«
»Das ist ja Wucher!« Nun ist es Pema, der seine Stimme theatralisch aufheulen läßt.
Fachmännisch wühlt er sich durch die Schlafsäcke, die von der niedrigen Decke des Ladens baumeln.
»25 Rupees wären o.k.«, sage ich und nehme meinen ganzen Mut zusammen, »aber pro Woche.«
»Nonononono, Madam! 25 Rupees pro Tag. Das ist ein wirklich guter Preis!«
»Oh my god!« Pema steckt seinen Kopf zwischen den Schlafsäcken hervor, »jetzt weiß ich, warum die so teuer sind! Da sind lauter Viecher drin!«
»Was für Viecher?«
»Bedbugs – Wanzen!«
»Du meinst, sie wären ohne Wanzen billiger?«
»Unsere Schlafsäcke haben keine Wanzen!« ereifert sich der Nepali und hakt noch einmal nach: »25 Rupees pro Tag ist ein wirklich guter Preis!«
»No«, sagt Pema. »30 Rupees ist ein guter Preis!«
Der Nepali stutzt. Pema macht weiter: »30 Rupees pro Tag für einen und 80 Rupees für zwei Schlafsäcke pro Tag.«
Nun ist der Nepali sprachlos. Zweifelsohne hält er uns für verrückt. Pema setzt noch eins drauf. »O.k., dann
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