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Flucht über den Himalaya

Flucht über den Himalaya

Titel: Flucht über den Himalaya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Blumencron
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nehmen. Doch seine Wärme zieht durch ihre Hände, die mit Anspannung die Tasse umklammert halten, über die Arme und Schultern bis in die schmerzende Brust.
    »Der Tee wird dir guttun«, sagt der Amchi mit auffordernder Geste.
    Als die Mutter den ersten Schluck genommen hat, zerfällt der See in ihren Augen, und Tränen kullern über ihre breiten Wangen. Vielleicht wird doch noch alles gut. So wie die Würfel es ihr prophezeit haben.

Kathmandu, im März 2000
    Im Thamel, dem freakigen Touristenzentrum von Kathmandu laufe ich meine neuen Bergschuhe ein – mit Mundschutz gegen den dicken Smog, der schon frühmorgens auf der Stadt liegt. Jürgen war gegen diesen zweiten Anlauf. Er war auch gegen meine Beziehung zu diesem »Lampenschirm«, wie er Jörg nannte. Doch irgendwann ist für jeden Großstadt-Single die Zeit gekommen, sich von der Meinung seines besten Freundes zu emanzipieren.
    Jörg ist auf den Malediven. Mit einer hübschen Blondine. Der Urlaub war schon lange, bevor er mich kannte, gebucht.
    »Dafür bin ich dann gut erholt für den Himalaya«, sagte er beim Abschied. Er hat sich entschlossen, mit einem Sonnenreflektor und ein paar Akkuleuchten professionelles Licht in meinen Anfängerfilm zu zaubern. Zusammen mit Richy, meinem neuen Kameramann, wird er nachkommen – sobald ich einen Guide gefunden habe.
    Seit zwei Wochen bin ich schon vergeblich auf der Suche. Die Enge meiner Low-budget-Herberge ist nur noch mit den ›Red Hot Chili Peppers‹ zu ertragen, deren wehmütige Songs zwar etwas blechern über die Lautsprecher meines Laptops kommen, aber besser wirken als der Stoff, den man hier an jeder Ecke von kleinen nepalesischen Junkies angeboten bekommt . . .
    I know I know for sure
    That life is beautiful around the world
    I know I know it ’ s you
    You say hello and then I say I do
    Ich finde keinen Guide. Weder in Bodhnath, dem tibetischen Stadtteil von Kathmandu, noch in den Flüchtlingslagern. Seit der gelungenen Flucht des siebzehnjährigen Karmapa im Dezember letzten Jahres ist wenig los auf den Grenzpässen. Der Karmapa gilt neben dem Dalai Lama und dem Panchen Lama als einer der drei höchsten Reinkarnationen im tibetischen Buddhismus, und seine Flucht, die genau in den Tagen gelang, als ich vehaftet wurde, ärgerte die chinesische Regierung sehr. Seitdem scheint es für tibetische Flüchtlinge noch schwieriger geworden zu sein, die Grenzpässe zu erreichen, ohne vorher einer Patrouille in die Hände zu fallen. Wahrscheinlich sind die Zufahrtsstraßen zu den Bergen immer noch stark bewacht.
    Ich gebe auf. Dieses Projekt stand von Anfang an unter keinem guten Stern. Es wird keinen Film geben. Tote Hunde prügelt man auch nicht wach.
    In drei Stunden ist es in Deutschland zehn Uhr. Ein günstiger Zeitpunkt, um meine ZDF-Redakteure und die Produktionsfirma anzurufen. Dann haben sie ihren ersten Kaffee getrunken und die Nachricht kommt nicht auf nüchternen Magen.
    Auf dem Weg zum Hotel beginne ich zu singen. Zum ersten Mal seit vielen Monaten. Endlich, ich werfe die Flinte ins Korn und mit ihr eine Last, die jeden rüstigen Sherpa auf Dauer zu Boden drücken würde: »I know, I know it’s you, Ding Ding Dong Ding Ding …«
    »Jemand hat nach Ihnen gefragt, Madam!« ruft mir der junge Boy von der Rezeption entgegen.
    »Wer?«
    »Zwei Männer. Ich glaube, es waren Tibeter.«
    »Und was wollten sie?«
    »Sie haben gesagt, sie kommen später noch mal.«
    Nach einer halben Stunde klopft es an meiner Zimmertür.
    »Hallo?« frage ich zaghaft, bevor ich öffne.
    »You’re looking for a guide? – Sie suchen einen Guide?« Sein Englisch klingt perfekt und seine Stimme sehr männlich.
    Kurz darauf hocken zwei Tibeter auf meinem Bett und bestaunen meine bunten Goretex-Handschuhe, das Monster von Schlafsack und meine dicke Daunenjacke. Der eine ist klein, rundlich, etwa fünfunddreißig Jahre alt und hat einen Zwirbelbart. Der andere ist Ende Zwanzig, groß, schlank, und sein langes tiefschwarzes Haar schimmert fast bläulich. An Hals und Fingern trägt er schwere, in Silber gefaßte Türkise.
    »Wer von euch beiden ist der Guide?«
    »Er«, sagt ›Winnetou‹ und deutet auf den ›Zwirbelbart‹. »Aber er spricht kein Englisch, deshalb bin ich mitgekommen. Ich bin sein Schwager.«
    »Wie heißt du?«
    »Pema«, antwortet Winnetou.
    »Und er?«
    »Sotsi.«
    »Ich heiße Zazie«, sage ich.
    »Ist das dein richtiger Name?«
    »Nein. Aber ich denke, Sotsi ist auch nicht sein richtiger Name.«
    Pema

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