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Flucht über den Himalaya

Flucht über den Himalaya

Titel: Flucht über den Himalaya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Blumencron
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informieren. Daraufhin sang ich die ersten Zeilen von ›Im Märzen der Bauer‹ in die Muschel, weil die chinesische Geheimpolizei angeblich auch in Nepal gut vernetzt ist.
    Seit meiner Verhaftung leide ich unter Paranoia. Hoffentlich legt sich das bald, denn wenn im Märzen der Bauer sein Rößlein anspannt, werde ich meinen zweiten Versuch starten, diesen Film zu machen.
    »Du spinnst«, sagte Jürgen.
    »Ich bin einfach nicht bereit aufzugeben«, sagte ich.
    Nach meinem ausgedehnten Waldlauf stemme ich im Fitneß-Studio noch ein paar Gewichte. Es ist Samstagabend, und in den Umkleiden stylen sich bereits die schlank trainierten Singles für eine Nacht mit großem Fun- und Flirtfaktor. Ich würde lieber allein auf einer Eisscholle im Nordmeer treiben, als mich jemals wieder zu verlieben. Männer sind so ziemlich das letzte, was mich im Augenblick interessiert – außer Kameramänner. Das ZDF hat mir tatsächlich eine zweite Chance gegeben! Allerdings soll ich diesmal von der nepalesischen Seite des Himalaya einer Flüchtlingsgruppe bis zum Grenzpaß entgegengehen. Da das Budget jedoch wegen des gescheiterten ersten Anlaufs fast alle ist, brauche ich noch festere Muskeln an Schultern und Armen: Ich werde den Großteil unseres Equipments selber schleppen müssen.
    Drei Geräte weiter trainiert ein junger Typ. Seine Haare sind irgendwie zu lang für dieses leistungsorientierte Etablissement und zu kurz für einen edlen Designerzopf. Offen fallen sie auf seine schmalen Schultern herab. Ich habe eine Schwäche für langhaarige Männer. Oje, jetzt hat er gemerkt, daß ich ihn beobachte. Schnell flüchte ich zum nächsten Gerät, das dicke Waden zaubert, wenn man übertreibt. Der Langhaarige greift zu den Kurzhanteln – die lassen jeden Augenflirt mühelos zu. Er wirkt zwar etwas zu entspannt, doch auf seinem T-Shirt steht ›Red Hot Chili Peppers‹ – der Name einer sehr genialen Band. Wie war das noch mal mit dem Eismeer und der Scholle?
    »Wer bist du denn?« fragt der heiße Chili-Mann, und ich werde rot wie eine Pfefferschote. Was soll ich sagen, wer ich bin? Eine ehemalige Schauspielerin? Eine Filmemacherin ohne Film? Ein Nervenbündel, das immer noch Angst vor der chinesischen Polizei hat?
    »Bist du Kameramann?« frage ich einfach zurück.
    »Lichtmann«, antwortet er.
    »Heißt das, du hängst Scheinwerfer in Bühnendekos?«
    »So ähnlich. Im Moment arbeite ich für ›Geld oder Liebe‹.«
    Als ich Jörg zwei Tage später durch die großen Scheiben des Café Schmitz auf mich warten sehe, weiß ich, daß ich heute und nie mehr in meinem Leben alleine schlafen muß. Und das ist gut so. Denn ich bin wirklich müde und habe nur noch zwei Wochen bis zu meinem zweiten Anlauf …

Little Pema und der alte Amchi
    Der alte Amchi tastet Little Pemas Bein ab. Ein schlecht verheilter Bruch.
    »Wie ist es denn passiert?« will er wissen.
    »Beim Spielen!« antwortet Little Pema fast zu schnell. »Tenzin wollte mich verprügeln!«
    »Tenzin?«
    »Vom Haus nebenan. Ich habe ihm einen Aprikosenkern mitten auf die Stirn geschossen – direkt hier. Peng! Da wurde er wütend wie ein wildes Yak, und ich mußte davonlaufen.«
    »Dann bist du gestolpert?«
    »Nein, ich bin auf unser Dach hinaufgeklettert, weil Tenzin viel schneller laufen kann als ich.«
    »Dann bist du also vom Dach heruntergefallen?«
    »Nein, ich habe laut gepfiffen, damit Dschandschur kommt!«
    »Wer ist Dschandschur?«
    »Großvaters alter Gaul. Dann bin ich vom Dach auf Dschandschurs Rücken gesprungen.«
    »Das ist ja – also das ist ja unglaublich!«
    »Aber als ich davonreiten wollte, hat Dschandschur gebockt, weil Großvater mit frischem Futter aus dem Stall kam. Dschandschur ist ein echter Vielfraß! Zu Losar hat er seinen Kopf beim Fenster hereingestreckt und die Biskuits von unserem Teller gefressen. Und wenn Großvater mit dem Gerstensack raschelt, läßt Dschandschur jede Stute auf der Weide stehen! Und einmal …«
    »Moment, ganz ruhig, meine Kleine.« Der alte Amchi drückt das vor Aufregung zitternde Kind sanft in die Kissen zurück: »Das sind ja alles tolle Geschichten, die du mir da erzählst. Ich möchte jetzt aber gerne wissen, wie das mit dem Bein passiert ist.«
    »Kung-Fu«, flüstert Little Pema leise, als verrate sie ein strenggehütetes Geheimnis. »Tenzin hat mich vom Pferd heruntergezerrt. Er hat gesagt, er schleppt mich auf den Geierthron und hackt mich dort in tausend Stücke. Da bin ich in die Luft gesprungen – ganz hoch

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