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Flucht über den Himalaya

Flucht über den Himalaya

Titel: Flucht über den Himalaya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Blumencron
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eine Kolonne von Militärlastwagen über die Brücke. Eins, zwei, drei, vier, fünf. Es ist beruhigend, ihre Lichter zu zählen. Sechs, sieben, acht, neun. Langsam strömt wieder der Atem in seinen Körper zurück. Zehn, elf, zwölf. Jetzt sind sie weg – wie ein Spuk, und Lobsang denkt: Ich lebe. Neben ihm fließt der breite Fluß ruhig in den großen Schatten der Brücke hinein. Lobsang schließt die Augen, möchte einfach nur schlafen. Da hört er die Stimmen der anderen. Sie suchen nach ihm.
    »Hier unten am Fluß!« ruft er schwach.
    »Alles in Ordnung?« flüstert Nima besorgt, als sie ihn gefunden haben.
    »Ich bin den Hang hinuntergestürzt.«
    Vorsichtig helfen ihm Suja und der Student hoch, während die anderen staunend die hohe Steilwand hinaufblicken.
    »Das kann nur einer überleben, der als Kind vom Himmel gefallen ist«, murmelt Yeti mit Ehrfurcht.
    »Meinst du, wir können weitergehen?« fragt Suja.
    »Ja«, sagt Lobsang und läßt sich von den Männern wieder in die Gurte seines Rucksacks helfen. Als sie über die Brücke gehen, dankt er den Göttern, daß sie ihm Currasco und Tempa als Reisegefährten mit auf den Weg geschickt haben. Ihr Egoismus hat ihm das Leben gerettet.
    » Am Anfang der Flucht waren wir nicht besonders nett zueinander. Aber dann fragte uns Little Pema, ob wir was von ihren Früchten haben wollen. Und so wurden wir Freunde. Und wenn ich Mama und Papa vermisse, habe ich jemanden zum Weinen. Die anderen weinen auch, wenn sie Papa und Mama vermissen – in der Nacht. «
DHONDUP
    Es gibt nur wenige Felsen in dieser Hochebene, hinter denen man sich vor dem Tag verstecken kann. Es wäre zu gefährlich, ein großes Feuer zu machen. Deshalb fordert Nima die Flüchtlinge auf, ihre Mahlzeiten in Dreiergruppen zu kochen. Noch wachsen hier niedrige Sträucher, deren trockenes Holz auch in der Höhe gut brennt. Bevor die Sonne aufgeht, sollen sie soviel wie möglich davon sammeln. Sie werden es mit in die Berge nehmen, wo es außer getrockneten Yakfladen bald gar keinen Brennstoff mehr geben wird.
    Chime nimmt Dolker an der Hand: »Komm, wir helfen den Großen, dann wird uns nicht kalt!« Dhondup kommt mit, auch wenn er furchtbar müde ist. Aber er bewundert Chime und will vor dem älteren Mädchen nicht wie ein Schwächling dastehen. Nur Little Pema bleibt regungslos auf dem gefrorenen Boden sitzen und läßt zu, daß ihr die Kälte weh tut.
    »Hast du ihre Zahnlücken gesehen? Sie sieht aus wie eine alte Oma!« lästert Dhondup und wirft eine Handvoll kleiner Stecken in Chimes Beutel.
    »Ich schätze, du hast vor einem halben Jahr genauso ausgesehen«, weist Chime ihn zurecht.
    »Ich bin schon fast acht!« ruft Dhondup gekränkt.
    »Pscht!« schimpft Nima die Kinder. Auch wenn weit und breit keine Menschenseele zu sehen ist, müssen sie leise sein.
    Als Suja merkt, daß Little Pema auf der nackten Erde einzuschlafen droht, packt er die Kleine und zieht sie mit sich zu den Sträuchern. »Ich brauche deine Hilfe, sonst schaffe ich das nicht. Paß auf, du hältst den Ast hier fest, ich schneide. O.k.?«
    Little Pema staunt, als Suja ein richtiges Khampa-Messer aus seinem Rucksack holt und aus dem türkisbesetzten Futteral eine große, scharfe Klinge zieht.
    »So eines hat mein Opa auch!«
    »Dann kommst du aus Kham?«
    »Ja, ich bin Khampa«, antwortet Little Pema stolz. »Du auch?«
    »Nein. Aber ich habe mir dieses Messer in Lhasa gekauft, weil ich dachte, genau dieses Messer werde ich brauchen, wenn ich eine kleine Prinzessin vor den wilden Tieren beschützen muß.«
    »Gibt es hier wilde Tiere?« fragt Pema und gibt sich alle Mühe, den Ast, an dem Suja mit dem Messer säbelt, nicht loszulassen.
    »Wölfe, Bären und weiter oben den Schneeleoparden. Aber keine Angst, Prinzessin. Sie werden dir nichts tun, denn sie haben Angst vor mir. Ich habe schon viele Bären und Schneeleoparden verspeist.«
    »Genauso ein Messer bräuchten wir auch, sonst kriegen wir das Holz nie klein«, flüstert Currasco zu Tempa.
    »Unser ›Mädchen‹ steht doch auf gutem Fuß mit diesem Amdo-Typ!« meint Tempa, »soll er doch seinen Hintern rüberbewegen und sich das Messer leihen.«
    »O.k., Kleiner«, sagt Currasco zu Lobsang, der ihre Blechnäpfe mit Erde und kleinem Gestein sauberscheuert, »wenn du heute noch eine heiße Tasse Tee zwischen deinen schlanken Fingern halten möchtest, solltest du zu deinem Freund rübergehen und ihm das Messer abschwatzen!«
    Sie haben Angst vor ihm, denkt Lobsang, bevor er

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