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Flucht über den Himalaya

Flucht über den Himalaya

Titel: Flucht über den Himalaya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Blumencron
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zahlreich, er hat es ›Die Leiden Tibets‹ getauft.
    Dreh dich endlich und lege dich in unsere Rücken! bittet Nima den Wind, der ihnen gnadenlos entgegenbläst. Warum ist es ausgerechnet heute so schwer? Was will der Wind ihm sagen? Nima lebt mit der Natur und achtet auf ihre Zeichen. Nie geschieht etwas ohne Grund. Er muß sich mit dem Wind befreunden.
    »Es ist nur ein Traum«, denkt Lobsang, der auf seinen Rucksack die Last von drei Decken geschnürt hat. »Einer dieser schlimmen Träume, wo du um dein Leben läufst und nicht von der Stelle kommst. Gleich schlägt unser Head- Lama den großen Morgengong im Klosterhof. Aber ich werde heute nicht aufstehen. Ich werde meinen Mitbrüdern sagen, daß ich krank bin und unter meinen warmen Decken liegenbleiben. Ich werde weiterschlafen. So lange, bis wieder Sommer ist. So lange, bis die Chinesen mich vergessen haben. So lange, bis Tibet frei ist.«
    Suja klopft Nima sachte auf die Schulter: »Dolker hält nicht mehr lange durch.«
    »Eine Stunde noch«, sagt Nima und denkt im stillen: zwei. Dann wird sich das Tal weiten, und auf den stufenförmigen Terrassen werden ein paar Bauernhäuser dazu einladen, an ihre Tür zu klopfen. Das ist immer ein Risiko. Aber sein Instinkt wird Nima sagen, welche Tür die richtige ist.
    »Welches Haus nehmen wir?« fragt Nima seinen Helfer Suja.
    »Schwer zu sagen. Ich würde das größte nehmen. Wir sind ein ganzer Haufen Leute.«
    »Ich würde das kleinste nehmen. Die können unser Geld am dringendsten brauchen.«
    »Oder das Geld der Polizei.«
    Sie entscheiden sich für ein windschiefes Häuschen, das etwas fernab von den anderen direkt am Ufer des Flusses liegt.
    »Ihr bleibt hier«, sagt Nima zu den Flüchtlingen. »Ich klopfe erst einmal alleine an.«
    »Vielleicht sollte es besser unser ›Mädchen‹ versuchen. Vor dem haben die Leute sicher keine Angst.«
    »Halt den Mund!« pfeift Suja den vorlauten Currasco an. »Sonst kannst du gleich hier im Fluß baden – mit einem schweren Stein im Rucksack.«
    Gespannt beobachtet die Gruppe, wie ihr Guide leise davonschleicht, vorbei an den anderen Häusern, flink über das niedrige Mäuerchen klettert und vorsichtig an die hölzerne Tür des Hauses klopft: »Tashi Delek! Die Götter sollen mit euch sein!«
    Nichts rührt sich im Inneren des Hauses.
    Noch einmal klopft Nima: »Ich brauche einen Unterschlupf für mich und meine Kinder!«
    Daß jemand zu Hause sein muß, kann Nima an den Tieren hören, die im Erdgeschoß des Hauses, das als Stall dient, unruhig an den Brettern schaben.
    »Ich habe auch etwas Geld für euchf!«
    Keine Reaktion. Die Leute haben Angst. Plötzlich steht Chime neben ihm. Suja hat sie geschickt. Nima nickt ihr zu, sie soll es ruhig versuchen. Chime muß nicht lange überlegen: »Meiner kleinen Schwester ist kalt!« ruft sie. »Sie kann nicht mehr weiter!«
    Ein unterdrücktes Gemurmel und Flüstern ist zu hören: Hier diskutieren Frau und Mann.
    »Meine Schwester heißt Dolker. Sie ist erst sechs! Kutchi, kutchi! – Bitte, bitte!«
    Schlurfenden Schrittes steigt jemand eine Holztreppe herab. Mit lautem Knarren öffnet sich die niedrige Tür des Hauses. Es ist ein älterer Mann, der Nima und das kleine Mädchen an seiner Seite mißtrauisch mustert. Nein, Räuber sind das nicht. Aber wo ist das zweite Kind?
    »Wir sind auf dem Weg nach Indien zum Dalai Lama. Die anderen warten alle da hinten«, sagt Nima.
    »Wie viele?«
    »Dreizehn. Schick uns nicht fort, Paala. Es sind vier kleine Kinder dabei.«
    Nun streckt auch ein altes Weiblein neugierig den Kopf zur Tür heraus: »Vier Kinder? Wo?«
    Kurze Zeit später zwängen sich die Flüchtlinge mit ihren dicken Rucksäcken an einem Dutzend Schafe und zwei Yaks vorbei, um schließlich über eine enge Treppe in das knarrende Obergeschoß der Hütte zu gelangen. Die alten Leute sind nicht reich. Es gibt nur einen Raum, in dem sie essen, schlafen und kochen. Mit Yakdung schürt die alte Amala ihren klapprigen Herd, in dem ein kleines Feuer brennt. Auf dem einfachen Bretterboden sollen es sich die Kinder und Männer gemütlich machen. Nima schickt Yeti und den Studenten zum Fluß, um Wasser für alle zu holen. Noch ist es dunkel. Aus einem riesigen Leinensack füllt der alte Mann Kartoffeln in einen Kochtopf.
    »Wir werden für alles bezahlen, Paala«, sagt Nima.
    »Hauptsache, es hat euch niemand kommen gesehen«, brummt der Alte.
    Als draußen der Morgen graut, liegen die Flüchtlinge zu je drei Mann in ihren Decken

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