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Flucht übers Watt

Titel: Flucht übers Watt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Uasterstigh durch Nebel hinunter. Inzwischen waren die Zeitungen da. Einzelne Exemplare klemmten in den Zeitungsständern. Harry wurde unruhig, als er sich |73| einige aus den Drahtbügeln herausnahm. Er versorgte sich mit den regionalen Blättern. Sofort sprang ihm in der Überschrift im ›Inselboten‹ das Wort Nolde ins Gesicht. Harry fühlte seinen Puls hämmern. Doch bevor er weiterlas, zahlte er, verließ den Laden und suchte vor dem stärker werdenden Regen Zuflucht im »Friesencafé«.
    Er bestellte einen Kaffee und nahm sich, um Ruhe bemüht, die Zeitungen vor. Der ›Inselbote‹ brachte die Meldung auf der ersten Seite unter der Überschrift: »Noldes ›Feriengäste‹ geraubt«. Ein Einspalter, der relativ kurz und unkommentiert die Tatsachen lieferte. Die Titel der Bilder wurden genannt, der Zeitpunkt des Raubes und ein knappes Zitat der Putzfrau Quarg. »Brutal« und »irgendwie ausländisch« sollte der Täter ausgesehen haben. Die friesische Reinigungskraft hatte den Treppensturz also überlebt. Harry war erleichtert. Aber irgendwie machte sie ihn auch nervös. Eine nähere Beschreibung von ihm schien sie allerdings nicht abgegeben zu haben. In den ›Husumer Nachrichten‹ stand derselbe Text, etwas gekürzt und anders gesetzt.
    Das ›Hamburger Abendblatt‹ fragte unter einem Foto des Nolde-Museums in Seebüll: »Führt die Spur der Kunsträuber nach Hamburg?« In dem Artikel war auch von dem zurückgelassenen Kadett die Rede. Außerdem wurde über eine Kunsträuberbande spekuliert. Während er von dem Nolde-Raub las, fühlte er sich mit seiner Flucht auf die Inseln bestätigt. Es war sicher sinnvoll, auf Amrum abzuwarten, wie sich die Dinge weiterentwickelten.
    |74| »Heute bleibt nur Zeitungslesen, was?«
    Harry hatte den großen Dicken gleich kommen sehen. Der korpulente Hans-Peter war ja auch kaum zu übersehen, als er, gefolgt von seiner kleinen, in einen violetten Anorak eingepackten Mutter, geräuschvoll in die niedrige Gaststube hereinpolterte. Mutter Wieses verkehrt herum aufgesetzte Brille war vollständig beschlagen, sodass sie Mühe hatte, sich zu orientieren.
    »Jaja«, sagte Harry, nur kurz von der Zeitung aufblickend, und der Höflichkeit halber fügte er noch hinzu:
    »Hört bestimmt gleich wieder auf mit dem Regen.« Aber das war offensichtlich schon zu viel. Denn jetzt gab es für Mutter Wiese, die sich inzwischen ihre Brille geputzt hatte, kein Halten mehr.
    »Eigentlich haben wir hier immer Glück mit dem Wetter. Und wenn es mal schlecht ist, es ändert sich hier an der See ja jeden Augenblick.« Sie schälte sich aus ihrem durchnässten Anorak. »Und schlechtes Wetter gibt es ja sowieso nicht   ... «
    »Jaja«, sagte Harry und widmete sich demonstrativ dem ›Inselboten‹, ohne jedoch eine Zeile aufnehmen zu können.
    »In der ›Nordseeperle‹ bei unserer Frau Boysen haben wir es doch gut getroffen«, versuchte sie noch mal ein Gespräch in Gang zu bringen.
    »Wir kommen ja nun schon seit fünfundzwanzig Jahren. Früher im Sommer, als Hans-Peter noch klein war und mein Mann noch lebte. War auch schön. Aber der Kuchen war damals noch nich so gut wie jetzt.«
    |75| »Mutti, auch Friesentorte?«, fragte der dicke Hans-Peter und wankte, ohne ihre Antwort abzuwarten, zur Kuchentheke.

6
    »Vernünftige steigen ab. Den anderen ist das Radfahren verboten.« Mit ratlosem Gesichtsausdruck bleibt Zoe vor dem Schild am Norddorfer Strunwai, der kleinen Geschäftsstraße des Ortes, stehen.
    »Honey, was hat das zu bedeuten?«, fragt sie.
    Harry grinst breit.
    »Ich dachte, ich kann inzwischen ganz gut deutsch.« »Die Schilder hat es früher schon gegeben«, sagt Harry und versucht ihr den Satz zu erklären.
    »Und wehe, du fährst mit dem Fahrrad auf der Promenade, dann beginnen die flanierenden Badegäste zu randalieren.«
    Zoe und Harry laufen barfuß mit hochgekrempelten Hosenbeinen ein Stück am Meer entlang. Sie patschen mit den Füßen durch die träge auflaufenden Wellen, die für die Nordsee erstaunlich warm sind, und lassen sich die Fußsohlen massieren von dem waschbrettförmig geriffelten Sand. Das in den Rippelmarken stehende Wasser ist richtig warm.
    Am Strand in Norddorf nehmen sie einen Aperitif. Die Sonne steht noch hoch am Himmel, obwohl es schon fast Abend ist.
    »Aber Midsummer Nights gibt es hier nicht, oder?«, |76| fragt Zoe. Sie nippt an ihrem Gin Tonic und streicht sich den Sand von ihren rot lackierten Fußnägeln. »Nein. Aber jeder Kilometer nach Norden

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