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Flucht übers Watt

Titel: Flucht übers Watt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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mit dem Reliefbild, sodass die »Kaiseryacht Hohenzollern« auf der gespachtelten See nur zu erahnen war.
    »Nee, Mutti, die vermuten, das hat mit den geklauten Bildern zu tun.« Der Dicke legte sein Wurstbrötchen beiseite. Er blätterte die Zeitung um und reichte sie Harry. »Hier, falls es Sie interessiert.«
    Silva Scheuermann schlürfte demonstrativ ihren Fencheltee. »Wir mussten es auch schon alle lesen.«
    Harry meinte ein flüchtiges Lächeln bei ihr zu erkennen.
    »Führt die Spur auf die Inseln?«, fragte die Überschrift eines längeren Artikels. Es war tatsächlich der ›Inselbote‹. Das Foto darüber zeigte die Putzfrau aus |172| dem Nolde-Museum, Imke Quarg (47), die auf den leeren Platz im »Bildersaal« deutete, an dem die ›Feriengäste‹ gehangen hatten. Dabei guckte sie ähnlich blöd wie bei dem Einbruch. Und sie sah auch erheblich älter aus als siebenundvierzig.
    Harry überflog den Artikel. Ihm wurde noch wärmer. Er wusste nicht, ob es an dem Zeitungsartikel, seinem nahenden Infekt oder dem überheizten Frühstücksraum lag. Nur seine Beine in den klammen Jeans waren eiskalt. Der Bericht konstruierte einen Zusammenhang zwischen dem Nolde-Raub und dem Verschwinden des Fährmanns. Der ›Inselbote‹ ging allerdings davon aus, dass der W.D.R.-Mann an dem Diebstahl beteiligt war. auf Harry gab es, soweit er auf den ersten Blick sehen konnte, keine Hinweise. Die Buchstaben begannen vor seinen Augen zu flimmern. Schließlich gab er die Zeitung dem dicken Hans-Peter zurück. Allzu großes Interesse durfte er auch nicht zeigen. Er wollte sich nachher selbst eine Zeitung kaufen und den Artikel in Ruhe lesen.
    Meret Boysen stürmte in den Frühstücksraum. Bei dem höheren Schritttempo knarzten ihre Schuhe nicht mehr.
    »Da ist noch einer verschwunden«, sagte sie entrüstet und auch ein bisschen abschätzig, »irgend so ’n Maler von Sylt. Hat er eben im Radio gesacht.«
    Das eiförmige Gesicht war jetzt leicht gerötet. »Das hat’s hier auch noch nie gegeben.«
    Also musste Maja Kieseritzky als vermisst gemeldet haben, gestern Nacht noch oder gleich heute Morgen. Wenn die Polizei nach ihm suchte, müssten sie wahrscheinlich |173| auch bald bei Harry aufkreuzen. Dass er die Party gemeinsam mit Kieso verlassen hatte, dafür gab es etliche Zeugen. Er war der Letzte, der ihn lebend gesehen hatte.
    »Wir bekommen ja richtig was geboten in unserem Urlaub«, witzelte Mutter Wiese.
    »Na ja, Mutti, wenn jemand denn auf einmal weg ist. Ist für die Betroffenen wahrscheinlich nicht so lustig.«
    »Jaja, schrecklich.«
    »Der soll gestern spät mit seinem Boot noch mal rausgefahren sein. Wohl mit ’m Freund zusammen«, sagte Meret Boysen. Dabei hielt sie die Thermoskanne wie eine Pistole auf ihre Gäste gerichtet, jederzeit bereit zum Nachschenken.
    »Der Hubschrauber is schon zweimal hier rüber«, wiederholte der Dicke zu Harry gewandt.
    Silva Scheuermann verdrehte die Augen hinter ihrer Brille. Jetzt lächelte sie Harry eindeutig an. Sie versuchte mit ihm zu flirten. Nach ihrer Begegnung nachts im Flur tat sie ihm gegenüber unangenehm vertraulich.
    Die Brötchen quietschten auf dem Teller noch penetranter als gestern. Besonders wohl hatte er sich schon die letzten Tage im Frühstücksraum der »Nordseeperle« nicht gefühlt. Aber heute wurde es richtig ungemütlich. Aus Verlegenheit drückte er mit dem Fingernagel kleine Rillen in die geschäumte Plastikdecke, während er mit einem pappigen, geschmacksneutralen Käsebrötchen kämpfte. Er hatte richtige Halsschmerzen. Das Kribbeln in Rachen und Nase wurde nicht besser. Eine Erkältung konnte er jetzt überhaupt nicht gebrauchen. Am liebsten hätte er sich auf der Stelle |174| einfach ins Bett gelegt und die Decke über den Kopf gezogen. Aber Harry hatte wichtige Dinge zu erledigen. Er war jetzt fest entschlossen, die Insel möglichst schnell zu verlassen. Er wollte noch sein Fahrrad holen, sich nach der nächsten Fähre erkundigen und sich dann mit seinen Bildern aus dem Staub machen.
    »Und wat is mit Ihren Krabben?«, rief Frau Boysen ihm hinterher. »Ich hab ja noch Ihre Krabben im Kühlschrank.« Und das klang jetzt richtig vorwurfsvoll.
     
    Auf dem Anleger in Steenodde ging es ebenfalls hoch her. Es stürmte immer noch. Die Leute vor dem »Steuerhaus«, die in den letzten Tagen friedlich auf Krabben und Fisch gewartet hatten, redeten erregt durcheinander. Harrys Fahrrad stand noch da, wo er es gestern angeschlossen hatte. Er holte das Rad und

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