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Flucht übers Watt

Titel: Flucht übers Watt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Flex.
    »Gibt es die Wirtin von früher noch?«, fragt Harry die stämmige Blonde um die vierzig, die nach einer Weile an die Tür kommt, nachdem er mehrmals ins Haus hineingerufen hat. »Frau   ... Boysen?«
    »Meret is’ im Heim auf Föhr«, blafft die Blondine mit den roten Wangen ihn an und will schon wieder ins Haus zurück.
    »Ich war früher mal hier.«
    »Jo, aber Vermietung is im Augenblick nich. Sehen Sie ja.« Die Blonde ist groß, recht korpulent und ausgesprochen schlecht gelaunt.
    Zoe, die ein paar Schritte hinter ihm neben einer Palette mit Waschbetonplatten steht, nimmt ihre Brille ab und guckt verwundert.
    »Wir wollten auch gar kein Zimmer.«
    »Ja, was denn?«
    »Sie hatten ein Bild damals, als ich im Urlaub hier war. Wenn es das noch gibt und wenn Sie hier gerade beim Entrümpeln sind   ... «
    Die Flex, die für einen Moment verstummt war, setzt wieder ein. »Ich versteh hier fast gar nix«, sagt sie missmutig, mit dem Kopf in Richtung des Baulärms deutend.
    »Ich würde Ihnen das Bild gern abkaufen.«
    Die Blonde guckt ungläubig, aber nicht mehr ganz so abweisend.
    »Es war ein Bild mit Frauen in Tracht. Es heißt   ... « Harry muss einen Moment überlegen. »›Öömrang wüfen uun Öömrang‹ oder so ähnlich.«
    |166| »Ja, dat hing letzte Woche noch da oben.«
    Harry fühlt seinen Puls steigen.
    »Da muss ich mal nachfragen.« Sie dreht sich um. »Okke, wat ist mit dem Bild? Is wech, nä?«
    Sie tritt einen Schritt zurück und beugt sich in eines der Zimmer. »Dat Bild von den Öömrangen.«
    Als er einen flüchtigen Blick in den Flur wirft, glaubt Harry auf der Treppe die Fußspuren von seinem nächtlichen Besuch zu erkennen. Der Zeiger in dem Möwenbarometer steht bis zum Anschlag auf »Sehr schön«. Das Kreischen der Flex setzt für einen Moment aus. Im Hintergrund hört Harry eine Männerstimme, ohne ein Wort zu verstehen.
    »Ja, die Trachten«, ruft die Blonde in den Nebenraum, bevor sie zum Eingang zurückkommt.
    »War’n doch so Trachten?«, sagt sie zu Harry und mustert Zoe dabei von oben bis unten.
    »Hat Heike genommen das Bild, nä?«, fragt sie noch einmal in den Raum hinein, aus dem es jetzt herausstaubt.
    »Jo, hat Heike genommen«, sagt ein mit grauem Staub vollständig überpuderter Mann, der kurz aus der Tür hervorguckt. »Müsste Heike eigentlich noch im Laden haben.«
    »Ja, dat müsste Heike eigentlich noch haben«, wiederholt die Frau schleppend.
    »Und wo finden wir Heike?«, schaltet sich Zoe ein.
    »Hüs Raan. Wieso?« Die Blonde guckt ungnädig. »Der Laden am Anfang vom Norderstrunwai. Kennen Sie nich?«
    |167| »Ja, dann werden wir da mal gucken«, sagt Harry genervt.
    »Hat aber heute dicht.« Der blonde Besen muss immer das letzte Wort haben, denkt Harry. »Nämlich   ... Heike hat nur Mittwoch auf.«
    »Haben Sie trotzdem schönen Dank.« Zoe muss lachen.
    »Aber nur fünfzehn bis siebzehn Uhr«, trumpft die Blonde noch einmal auf.
    Jetzt muss Harry auch grinsen, obwohl er eigentlich stocksauer ist.

13
    »Sie sehn aber gar nich’ gut aus«, sagte Pensionswirtin Meret Boysen, als Harry am Morgen den Frühstücksraum betrat. Dabei guckte sie streng aus ihren wässrig graublauen Augen.
    »Nordseeluft, soll Ihnen doch eigentlich guttun.«
    Kein Wunder, dass ich fertig aussehe, dachte er. Er hatte es auf einmal mit zwei Toten zu tun. Dabei wollte er nur ein Bild klauen. Was mache ich hier eigentlich noch in dieser komischen Pension, fragte Harry sich.
    »Ja, ich krieg wohl ’ne Erkältung«, sagte er. »Aber vielleicht bringt mich Ihr Kaffee ja wieder auf die Beine.«
    Er fühlte sich tatsächlich gar nicht gut. Er hatte wenig geschlafen und wild geträumt. Die Putzfrau aus |168| dem Nolde-Museum und der Fährmann hatten wieder Shantys gesungen.
    »Oh blow, my boys, and blow forever. Oh blow me down to the Congo River.«
    So viel Englischkenntnisse hatte Harry den beiden gar nicht zugetraut. Und diesmal war noch ein Dritter im Bunde. Reinhard Kieseritzky hatte sich ihnen angeschlossen. Einträchtig mit dem W.D.R.-Mann und der Putzkraft, die sie in die Mitte genommen hatten, schwankten sie ihm singend entgegen. »Blow, blow boys, blow.«
    Harry fühlte sich fiebrig. In der Nacht war er noch vor Kälte zitternd aufgewacht. Das durchgelegene Bett hatte wie ein Schiff geschwankt. Unablässig waren ihm die Gedanken durch den Kopf gewirbelt. Hatte er Schuld an Kieseritzkys Tod? Immerhin hatte er den Regler für den Schiffsmotor so plötzlich umgelegt. Wäre

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