Flucht vor den Desperados
wo Ping war, als ich das Knallen einer Pistole hörte und ein Mann über den Gehsteig direkt auf mich zugerannt kam.
KONTOBUCHBLATT 13
Vor dem Büro der Cal Stage Company stand ein großes hölzernes Fass. Dahinter ging ich in Deckung, als der Mann mit der Waffe auf mich zukam. Er trug keinen Bart, war blond und feuerte mit einem alten Colt’s Dragoon Revolver in die Luft. Das machte einen donnernden Lärm und produzierte reichlich Qualm. Er feuerte vier weitere Schüsse ab und drückte den Abzug auch noch weiter, nachdem die Kammern bereits leer waren und die Waffe nur noch klickte. Dann brach er auf dem Gehsteig zusammen, unmittelbar vor meinen Füßen. Eine Frau schrie, & ein Pferd, das an einer Stange festgebunden war, bäumte sich auf, die meisten Leute lachten aber nur.
Ich hielt ihn nicht für Walt oder einen seiner Männer. Um ganz sicherzugehen, schnupperte ich kurz. Ich konnte keinen Geruch von Bay-Rum-Haarwasser ausmachen. Aber ich konnte Whiskey riechen.
Mehrere Leute waren näher getreten und beugten sich über ihn.
»Ist er tot?«, hörte ich einen Minenarbeiter fragen.
»Nee, bloß betrunken ist der«, sagte ein anderer. Er hob den großen Colt’s Dragoon hoch. »Und ich hab einen neuen Revolver. Yee-hah!« Der Mann steckte die ungeladene Waffe in seinen Hosenbund & rannte dann grölend den Gehweg hinunter.
Ich spürte, wie eine Hand meinen Arm so fest ergriff, dass es wehtat. Es war Ping.
»Hopp, hopp!«, sagte er. »Ich muss dich an einen sicheren Ort bringen.«
Ich ließ es zu, dass er mich von dem betrunkenen Mann weg- und um die Ecke zog. Wir gingen die steile Seitenstraße, die Union Street, hinauf, und bogen dann links in eine der ebenen Buchstaben-Straßen ein. Ich nahm an, dass es die B Street war, da wir bergauf gegangen waren.
Auch wenn wir uns am äußersten Rand der Gehsteige hielten, rempelten die Leute uns immer wieder an. Ich hatte das Gefühl, dass ein chinesischer Junge und ein Indianer hier nicht viel Respekt zu erwarten hatten. Einmal mussten wir uns durch eine Gruppe von Männern in Gehröcken & mit Melonen auf dem Kopf hindurchquetschen. Sie waren fett, rauchten dicke Zigarren & führten sich auf, als gehörte ihnen der ganze Ort. Ich nahm an, dass es Anwälte waren. Wir kamen noch an zwei weiteren Saloons vorbei, an einem Restaurant und einem Sattler.
Vor uns sah ich eine weitere Seitenstraße, und im Stillen wiederholte ich: »Carsons Mine schürft unser tägliches silbernes Wohl. T bedeutet Taylor Street.«
Und tatsächlich informierte mich ein weiteres grob gemaltes Schild an der Seitenwand eines Gebäudes, dass es sich um die Taylor Street handelte.
Wir ließen einen von vier Maultieren gezogenen Karren vorbeirattern und überquerten dann die Straße.
»Wo bringst du mich hin?«, fragte ich Ping.
»Hierhin.«
Er war vor einem Geschäft auf der östlichen Seite der B Street stehen geblieben. Ping drückte die Türklinke. Es war abgeschlossen. Er nahm einen Schlüssel aus seiner Tasche und schloss die Tür auf. Währenddessen trat ich einen Schritt zurück, um mir anzuschauen, was das für ein Geschäft war, das mir Unterschlupf bieten sollte. Auf einem ordentlich geschriebenem Schild stand: ISAIAH COFFINS AMBROTYPIE- & FOTOGRAFIE-STUDIO.
In diesem Moment nahm ich den vertrauten Duft von Pa Emmets Pfeife wahr, drehte mich um und sah, wie ein Mädchen, etwa in meinem Alter, aus dem Laden nebenan auftauchte. Auf dem Schild über dieser Tür stand: BLOOMFIELDS TABAKWARENLADEN.
Das Mädchen hatte lockiges braunes Haar und große braune Augen. Als es mich ansah, schienen seine Augen sogar noch größer zu werden. War das Ausdruck Nr. 4: Erstaunen? Oder etwas anderes? Wieder einmal wünschte ich, ich könne die Menschen deuten. Ich fragte mich, ob sie mich auch umbringen wollte.
Aber bevor das Mädchen mit dem lockigen Haar einen Revolver ziehen und mich mit Blei vollpumpen konnte, hatte Ping die Tür des Fotografie-Studios geöffnet & mich unsanft hineingezogen.
Eine Glocke läutete, als sich die Tür hinter uns schloss.
Es war schummrig in Isaiah Coffins Ambrotypie- und Fotografie-Studio, und der Raum roch merkwürdig nachChemikalien. Es gab einen hölzernen Tresen auf der linken Seite und ein großes Schaufenster direkt vor uns. Zur Rechten stand eine bemalte Hintergrundleinwand, auf der eine Büffelherde & ein Planwagenzug auf der Prärie zu sehen waren. Der Künstler hatte indianische Tipis hinzugefügt sowie einige Wolken und Berge. Das Bild brachte
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