Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Flucht vor den Desperados

Flucht vor den Desperados

Titel: Flucht vor den Desperados Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caroline Lawrence
Vom Netzwerk:
mich aufgespürt. Schon wieder.

KONTOBUCHBLATT 24

    Bevor ich Richtung Ausgang flüchten konnte, flog die Tür des Speisesaals auf, und Walt, der Schnitzer, trat mit seinen Kumpanen ein.
    Zum Glück hatte ich, bevor ich ins Restaurant gekommen war, bei Isaiah Coffins Ambrotypie- & Fotografie-Studio einen Zwischenhalt gemacht und eine neue Tarnung angelegt – das Kostüm eines Celestials. Ich trug weite Hosen und ein Hemd mit Druckknöpfen sowie einen flachen Strohhut, an dem ein falscher Zopf hing. Ich hatte mich im Spiegel angeschaut und war zu dem Schluss gekommen, dass dies zusammen mit der »dunkleren Gesichtsfarbe« und den leicht schrägen »kalten schwarzen Augen« meine bislang überzeugendste Tarnung ergab.
    Walt verschwendete keinen zweiten Blick auf mich. Er suchte nach einem kleinen Mädchen in rosafarbener Baumwolle und mit einer Haube auf dem Kopf.
    »Wo ist sie?«, rief Walt noch einmal. Er schwang ein Jagdmesser, das so lang war wie mein Unterarm. »Wo ist Belle Donne? Sie soll hier sein!«
    »Oh!«, stieß Titus Jepson aus und fuhr aus seinem Stuhl auf. »Oje!«
    »Du!«, sagte Walt, krallte seine Faust in Jepsons Schürze und zog ihn zu sich. »Wo ist Belle Donne? Man hat mir gesagt, dass sie hier regelmäßig isst.«
    »Ich weiß es nicht!«, rief Titus Jepson.
    »Weißt du, wer ich bin?«, fragte Walt.
    »Nein«, stammelte Titus Jepson.
    »Man nennt mich Walt, den Schnitzer. Du sagst mir jetzt, wo ich das Mädchen finde, sonst fang ich an, dir Finger und Zehen abzuschneiden!«
    »Nein!«, sagte Titus Jepson. »Bitte nicht. Ich hänge sehr an meinen Fingern und Zehen. Ich weiß nicht, wo Belle ist. Ich schwöre!«
    Der mexikanische Kellner stand an einer Wand und sah zu. Immer wieder ballte er die Fäuste. Die blonde Familie und die Frau in Schwarz starrten mit großen Augen herüber.
    »Rede!«, sagte Walt. Er umschloss Titus Jepsons Handgelenk und zog ihn zu dem Tisch herüber, an dem ich noch immer saß. Erschrocken wich ich an die Wand zurück. Walt drückte Jepsons dickliche Hand flach auf den Tisch & ließ sein Jagdmesser darauf hinunterfahren.
    Titus Jepson schrie auf, als die Spitze des kleinen Fingers seiner linken Hand durch die Luft flog. Sie fiel auf meinen Teller, direkt zwischen die Tortenkrümel und den Zuckerguss.
    Die Frau in Schwarz begann zu schreien, die blonden Kinder weinten.
    Auf dem Tisch breitete sich eine Blutlache aus.
    »Jetzt rede!«, sagte Walt und hielt sein blutiges Jagdmesser hoch. »Sonst schnitz ich weiter an dir herum und zeig dir, ›dass nichts Schön’res dir zustoßen kann als der Tod‹.« Er lachte, als hätte er etwas Lustiges von sich gegeben.
    »Ich rede ja!«, brüllte Titus Jepson. »Ich rede ja!«
    »Wo ist Belle?«
    »Sie ist wahrscheinlich unten in einer der Opiumhöhlen in Chinatown.«
    »In welcher?«, fragte Walt und ließ sein Messer über dem Ringfinger von Jepsons linker Hand kreisen.
    »Ah Sing!«, sagte Titus Jepson. »Meistens geht sie zu Ah Sing.«
    »Ah Sing kenn ich«, sagte Extra Dub. »Ist unten in der F Street. Kleines Kojotenloch im Berg.«
    Walt nickte und spuckte Tabaksaft auf den Boden. »Siehst du?«, fragte er. »War doch gar nicht so schwer.« Er wischte das Messer an seinem Hosenboden ab und sagte zu seinen Kumpanen: »Na kommt, Jungs. Dann wollen wir mal Chinatown einen Besuch abstatten.«
    »Nein!«, wimmerte Titus Jepson. »Tut Belle nichts an. Bitte tut meiner Belle nichts an.«
    Aber sie hatten sich bereits dem Seitenausgang zugewandt.
    Beim Hinausgehen richtete Extra Dub seinen Colt’s Navy Revolver zur Decke und feuerte einen Schuss ab. Der Knall brachte meine Ohren zum Klingeln & ließ Flocken von Putz auf uns herunterregnen. Das löste eine neue Welle von Geschrei aus.
    Titus Jepson schnappte nach Luft & weinte & schüttelteden Kopf. »Oh nein«, wimmerte er. »Sie werden sie zerstückeln. Meine arme Belle.«
    Ich stand auf.
    Bis jetzt hatten Walt und seine Kumpane den Ton angegeben.
    Es war Zeit, dass ich die Sache in die Hand nahm und nicht immer nur davonlief.
    »Keine Sorge«, sagte ich zu Titus Jepson. »Ich werde Belle vor ihnen finden und sie warnen.«
    Titus Jepson schaute mit aufgelöstem und tränenüberströmtem Gesicht zu mir hinab.
    »Wenn du Belle hilfst«, sagte er, »geb ich dir hier Rabatt auf jedes Essen bis in alle Ewigkeit.«

KONTOBUCHBLATT 25

    Um mich an Walt und seine Kumpane zu heften, brauchte ich nicht auf mein indianisches Geschick im Fährtenlesen zurückzugreifen. Eine dünne

Weitere Kostenlose Bücher