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Flucht vor den Desperados

Flucht vor den Desperados

Titel: Flucht vor den Desperados Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caroline Lawrence
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Schneeschicht zeigte ihre Spuren so deutlich, als wäre es helllichter Tag. Schnell hatte ich an der Kreuzung von Taylor und D Street mit ihnen aufgeschlossen. Ich ließ sie nicht aus den Augen, hielt mich aber in den Schatten verborgen, die von den Fackeln geworfen wurden.
    Sie hatten sich irgendwo eine Flasche Whiskey besorgt und nahmen sie sich abwechselnd zur Brust. Einmal rutschte Boz aus und fiel hin. Walt streckte die Hand aus, als wolle er ihn hochziehen, nahm ihm aber bloß die Flasche ab. Extra Dub half Boz auf, dann lachten sie alle.
    Auch ich musste vorsichtig sein. Der Schnee machte die steile Straße sehr rutschig, und an Sandalen mit Holzsohlen war ich nicht gewöhnt.
    Nach einer Weile bogen Walt und seine Kumpane links in die F Street, in genau jene Straße also, in der ich vor einigen Stunden auf Belle Donne getroffen war. Chinatownsah bei Nacht verändert aus. Ein Nebel aus Weihrauch hing über den Hütten, und Papierlaternen schimmerten wie Sterne. Ich holte die Smith & Wesson aus meinem Medizinbeutel und hielt sie in der rechten Hand. Dann ließ ich die Hand in meinen linken Ärmel gleiten – und umgekehrt die linke Hand in den rechten Ärmel, wie ich es bei den Chinesen gesehen hatte. So war meine Waffe einsatzbereit, aber verborgen, und auch meine Hände wurden nicht zu kalt. Einmal wandte Boz sich um und warf einen Blick zurück, aber ich hielt meinen Kopf gesenkt, und er schien nicht misstrauisch zu sein. Ich vermute, für ihn sah ich aus wie irgendein beliebiger chinesischer Junge.
    Extra Dub schien den Weg zu kennen. Er führte Walt und Boz durch ein Gewirr aus Schuppen und Zelten. Schließlich erreichten sie einen Bereich des dünn eingeschneiten Berghanges, an dem ein von Felsen gesäumter Weg zu einer niedrigen hölzernen Tür führte.
    »Du hältst Wache, Dub«, hörte ich Walt sagen. »Boz und ich werfen einen Blick hinein.«
    Walt und Boz mussten die Köpfe einziehen, um einzutreten. Dub holte aus seiner Manteltasche eine Zigarre hervor & zog ein Streichholz über das raue Gestein des Felsens. Als er seinen Kopf senkte, um sich Feuer zu geben, zog ich mir den Hut tief ins Gesicht, schob meine Ärmel ineinander & huschte an ihm vorbei.
    Dub beachtete mich nicht.
    Die hölzerne Tür öffnete sich so leise, als würden ihre Angeln in Tassen voller Öl hängen. Als ich eintrat, sah ich, dass der Türsturz über mir von Rauch geschwärzt war. Im Innern war es so schummrig und verraucht, dass ich anfangs nur ein paar Punkte aus gelbem, rotem oder blauem Licht erkennen konnte. Es war auch sehr ruhig, abgesehen vom leichten Klirren der Desperado-Sporen und einem eigenartigen Gluckern konnte ich nichts hören. Es waren Menschen hier, die rauchten, und der bittersüße Tabak roch nach brennenden Blumen. Der Rauch machte mich benommen, und ich wusste: Das war der Opiumrauch. Ich versuchte, durch meinen Mund zu atmen, um nicht dem Rauschgift zu verfallen.
    Als sich meine Augen an den Raum gewöhnt hatten, konnte ich erkennen, dass die Wände dieser Höhle von engen Stockbetten gesäumt wurden – mit jeweils vier Schlafplätzen übereinander. Beinahe jedes Bett war von einer Person besetzt, die schlief oder rauchte. Die Pfeifen waren sehr lang. Ich nahm an, dass sie, genau wie der Tabak, aus China stammten. Einige der Pfeifen waren so lang, dass sie von Gehilfen gehalten werden mussten, die genauso angezogen waren wie ich.
    Ich hörte Walt sprechen, drehte mich um und sah, wie er sich über einen kleinen alten Chinesen beugte, der an einem Tisch bei der Tür saß. Auf seinem Tisch sah ich Waagen aus Messing & Schachteln & Münzen.
    »Ich kommen her, weil suchen weißes Hurdy Girlie«, sagte Walt zu dem alten Mann. »Du gesehen Hurdy-Girlie?«
    Der alte Mann sagte etwas, das sich wie »Hmpf!« anhörte, und ratterte dann etwas auf Chinesisch herunter.
    Ich wandte mich um und ließ meinen Blick rasch über die Rauschgiftsüchtigen in ihren Stockbetten gleiten. Belle lag in der dunkelsten Ecke im untersten Bett. Ich schlüpfteaus meinen Sandalen mit den hölzernen Sohlen, ließ sie bei den anderen Schuhen in Türnähe stehen & tapste leise über den ausgetretenen Erdboden.
    Belles Augen waren halb geschlossen. Als ich ihr ihren Namen ins Ohr flüsterte, reagierte sie nicht. Sie trug das rosarote Kleid, aber ohne den Reifrock. Den musste sie ausgezogen und in ihrem halb fertigen Haus gelassen haben. Ebenso wie ihren Hut und ihren Sonnenschirm. Aber die kleine, perlenbesetzte Handtasche hing immer

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