Flucht vor den Desperados
Nacht.«
Er sagte: »Sieht das hier aus wie Hotel? Du zahlen fünf Dollar. Du kriegen Pfeife und Bett für zwei, drei Stunden. Dann du gehst.«
»Bitte«, sagte ich. Ich holte die anderen zwei Scheine hervor. »Ich kann Ihnen drei Dollar bezahlen. Bloß ein kleines Bett ganz oben? Nur bis die Lady da drüben aufbricht? Keine Pfeife.«
Der alte Celestial schürzte seine Lippen.
»Bitte?«, drängte ich. »Mehr hab ich nicht.« Dann fügte ich hinzu: »Ich bin ein Freund von Ping.«
»Ping?«, fragte er. »Welcher Ping?«
»Ping, der Neffe von Hong Wo.«
Noch einmal öffneten sich die Augen des alten Mannes weit.
Er schaute sich um, dann blickte er mich finster an.
»Na schön. Ein Dollar für Bett, keine Pfeife. Du gehen nach ganz oben.«
»Falls ich einschlafen sollte, wecken Sie mich, wenn die Lady weggeht?«
Er nickte mir kurz zu. »Ich werde wecken.«
Ich gab ihm einen Dollar und ging zu den Stockbetten, die in der verräucherten Höhle gegenüber von Belle standen, und kletterte ins höchste Bett hinauf, das frei war. Den flachen Strohhut setzte ich ab und legte meinen Kopf darauf. Es lag nur eine fettige Strohmatte auf dem harten Holz, aber bald schon fühlte ich eine köstliche Wärme an meinen nackten Zehen. Das Gefühl kroch meine Füße und meine Beine hinauf in meinen Körper. Nach und nach fühlte ich mich ganz warm, als läge ich in einer Wanne mit heißem Wasser. Mein verstauchtes Fußgelenk hörte auf zu pochen, und der Schmerz in all meinen Wunden ließ nach. Das Beste aber war: Ich fühlte, wie meine Trauer davonglitt und durch eine eigenartige Ruhe ersetzt wurde.
Ich musste eingeschlafen sein, denn ich hatte einen wunderschönen Traum. Ich sah Ma Evangeline und Pa Emmet. Sie gingen Hand in Hand durch die himmlischen Gefilde. Im Himmel sah es in etwa aus wie in Virginia City, nur war er flach, nicht steil, & die Gebäude waren, statt aus rohen Holzbrettern, aus Juwelen gefertigt. Die Straßen waren aus Gold, das so rein war wie Glas. Es gabauch Bäume dort. Sie trugen schwere grüne Blätter und große wächserne Blüten, die rot und gelb und blau leuchteten. Die Blüten gaben den süßesten Duft ab, den ich je gerochen hatte.
In Salt Lake City hatte ich einmal einen Heißluftballon in den blauen Himmel hinaufsteigen sehen. Mein Herz fühlte sich an wie dieser Ballon. Ich hatte das Gefühl, ich könnte in die Luft treiben und würde von einer sanften Brise fortgetragen werden.
Dann schüttelte mich jemand, und ich spürte eine Reihe brennender Schläge auf meinen Wangen.
Ich öffnete die Augen, und ein Gesicht kam in mein Blickfeld: das runzlige bleiche Gesicht eines alten Mannes.
Er schien mir der weiseste Mann zu sein, der je gelebt hatte, und glücklich blickte ich ihn an.
»Hopp, hopp!«, sagte er mit finsterem Blick. »Lady-Freundin gehen, also du gehen auch!«
Als ich mich aufrichtete, knallte ich mit dem Kopf gegen die niedrige Steindecke der Höhle. Das erinnerte mich daran, mir meinen Strohhut wieder aufzusetzen. Der kalte Boden aus Erde wiederum erinnerte mich daran, meine Sandalen mit den Holzsohlen anzuziehen, die an der Tür auf mich warteten. Ich trat in die frostig kalte Nacht hinaus. Der Schnee fiel nicht mehr, der Himmel hatte sich aufgeklart und über mir leuchteten Millionen von Sternen.
Mein Kopf hämmerte, & ich fühlte mich taumelig & dumm. Doch wie auch immer, ein paar tiefe Atemzüge der eisigen Luft verschafften mir gerade noch rechtzeitig einen klaren Kopf, um zu erkennen, wie Belle in einer der dunklen Gassen von Chinatown verschwand. Ich eilte hinterihr her. Als ich sie eingeholt hatte, hatte ich immer noch Kopfschmerzen, fühlte mich aber immerhin munterer.
»Belle!«, sagte ich und zog an ihrem Ärmel. »Belle, halt!«
Sie drehte sich um und schaute mich an, wobei sich ihre glatte Stirn zu einem Runzeln verzog. Ihre Frisur war halb zerfallen, einzelne Strähnen hingen über ihre nackten Schultern. Der Nebel um uns hatte sich gehoben, und die schummrigen Lichter der an den Hütten hängenden Papierlaternen zeigten, dass ihr schönes rosarotes Kleid am Mieder zerrissen war.
»Wer bist du?«, fragte sie. »Was willst du?«
»Ich bin’s: P. K.«
Sie starrte mich an. »P. K.?«
Ich nickte. »Ich bin getarnt wie ein Detektiv. Sie können nicht zu Ihrem Haus zurück, Belle. Walt und seine Männer sind jetzt hinter mir her, und es könnte sein, dass sie mich dort suchen. Sie sind wirklich wütend auf Sie, und wenn sie Sie finden, schlitzen sie Sie bei
Weitere Kostenlose Bücher