Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Flucht vor den Desperados

Flucht vor den Desperados

Titel: Flucht vor den Desperados Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caroline Lawrence
Vom Netzwerk:
lebendigem Leib auf.«
    Sie schaute mich an & dann zitterte ihre Unterlippe. Sie begann zu weinen. »Oh, P. K.!«, sagte sie. »Ich habe Angst. Ich habe geträumt, sie wären da gewesen, als ich unten bei Ah Sing war.«
    »Sie sind da gewesen«, sagte ich. »Und Boz war drauf und dran, Ihnen den Kopf wegzupusten.«
    »Sie haben mein bestes Kleid zerrissen«, sagte Belle. »Und sie haben mich ausgeraubt. Und du sagst, ich kann nicht nach Hause? Was soll ich denn machen?«
    »Ich kenne einen sicheren Ort«, sagte ich. »Sie könnenmit mir kommen. Dann können Sie morgen die erste Postkutsche aus der Stadt nehmen.«
    »Ja«, sagte sie. »Oh, P. K., es tut mir leid, dass ich dich gefesselt und bestohlen habe. Es ist nur so, dass ich das Rauchen so sehr liebe. Das ist das Einzige, was mir an diesem gottverlassenen Ort Freude bereitet.«
    Wir erklommen die steile und eingeschneite Taylor Street, wobei wir wachsam nach verdächtigen Schatten Ausschau hielten, die sich als Walt und seine Kumpane herausstellen konnten. Mein Kopf hämmerte noch immer. Außerdem war mir schwindlig & ein bisschen schlecht von dem Opiumrauch oder der dünnen Luft oder beidem. Einmal rutschte ich aus, aber Belle half mir auf. Wir zitterten beide vor Kälte, als wir die B Street erreichten. Hier oben war es immer noch belebt und geschäftig, auch wenn es wahrscheinlich schon zwei oder drei Uhr morgens war. Der Gehsteig mit all den Menschen gab mir ein Gefühl von Sicherheit, aber ich atmete erst erleichtert auf, als wir vor der Eingangstür von Isaiah Coffins Ambrotypie- und Fotografie-Studio standen. Mit erfrorenen Fingern angelte ich in meinem Medizinbeutel nach dem Schlüssel, zog ihn hervor und öffnete, begleitet von einem Willkommensklingeln der Glocke, die Tür.
    Es war dunkel hier, aber nicht zu kalt, und die Fackeln auf der Straße spendeten genug Licht, um uns zurechtfinden zu können. Ich zeigte Belle das Büffelfell über dem Sofa, von dem ich geträumt hatte. Sie legte sich hin, deckte sich zu & schloss die Augen.
    Ich war auch müde, aber ich wusste, dass ich als Erstes am nächsten Morgen meinen Brief zum Recorder’s Officebringen musste. Ich glaubte nicht, dass sie mich dort hineinlassen würden, wenn ich wie ein Chinese angezogen war. Und was, wenn sich Walt daran erinnerte, dass er einen jungen Chinesen sowohl im Restaurant als auch in der Opiumhöhle gesehen hatte, und eins und eins zusammenzählte? Außerdem war meine Hose feucht & kalt, seit ich im Schnee ausgerutscht und hingefallen war.
    Müde, wie ich war, fand ich Streichhölzer, zündete eine Lampe an und ging wieder in die Kostümkammer nebenan.
    Ich zog mein feuchtes Chinesen-Kostüm und die Holzsandalen aus & wählte die seriöseste Kleidung, die ich finden konnte. Gestreifte Beinkleider aus Sergestoff, ein gestärktes, weißes Leinenhemd, eine rote Samtweste & eine blaue Jacke mit Messingknöpfen. Ich musste die Hosenbeine und die Ärmel des Hemdes hochkrempeln, doch die Jacke passte gut. Ich fand einen alten Bowler-Hut & glänzende schwarze Schuhe. All das war mir zu groß, aber ich knüllte Zeitungspapier zusammen, um den Hut auszustopfen, und zog drei paar wollene Socken übereinander, damit die Schuhe passten.
    Als ich mich auf einen Stuhl setzte, um mir die Schuhe zuzubinden, musste ich an meine Schulschuhe denken, und das brachte mir Ma & Pa in den Sinn, wie sie auf den nackten Bodendielen unserer kleinen Holzhütte in Temperance lagen.
    Ich spürte, wie mich ein Schwindel überfiel & wie mein Herz raste. Also blieb ich sitzen & holte einige Male tief Luft, bis es vorbei war.
    Dann stand ich auf & schaute mich im Spiegel an.
    Ich versuchte mich mit den Augen eines Fremden zu sehen.
    Im Schein der Lampe zeigte das Spiegelbild einen Jungen mit kurzem schwarzen Haar, einer dunkleren Gesichtsfarbe & leicht schrägen schwarzen Augen. Mein Gesicht verriet keinen Ausdruck. Ich versuchte zu lächeln, aber das sah komisch aus & fühlte sich noch komischer an.
    Ich fand einen Kamm & etwas Haaröl & zog mein kurzes Haar aus der Stirn. Nun sah ich aus wie der Sohn eines wohlhabenden Bankdirektors oder Aktionärs. Vielleicht aus Spanien. Oder Italien. Oder sogar aus Cornwall. In Dayton sind Haare und Augen bei einigen der Minenleute aus Cornwall richtig dunkel.
    »Passabel«, sagte ich mit englischem Akzent. Ich kann den englischen Akzent gut nachahmen, denn meine Pflegemutter stammte aus England & schließlich habe ich zwei Jahre bei ihr gelebt.
    Ich prüfte, ob sich mein

Weitere Kostenlose Bücher