Fluchtpunkt Mosel
stellte Walde fest, dass ihre Nase lief. Während er mit der einen Hand weiter Kugeln auflegte, zog er mit der anderen ein Papiertuch aus der Tasche und hielt es ihr an die Nase.
»Annika, schnäuzen!«, forderte er sie auf.
Sie holte tief Luft und kniff die Augen zusammen, ohne es zu schaffen, die Luft durch die Nase auszustoßen.
Er wischte ihr die Nase ab. Sie ließ es sich nur einen Moment gefallen und machte dann einen Schritt rückwärts.
»Soll ich den Hund aus dem Auto holen?«
»Ja.« Sie nickte und lächelte erwartungsvoll.
»Ich bin gleich zurück«, sagte Walde.
Annika nickte.
Er nahm in der Diele den Schlüsselbund vom Schrank. Hinter ihm trippelten Annikas Rutschsocken über das Parkett.
»Warte Annika, ich bin gleich zurück.«
Sie folgte ihm zur Tür und ins Treppenhaus. Walde ging wieder zurück und nahm den Schal mit den Bommeln und die Mütze von der niedrigen Garderobe hinter der Dielentür. Annika ließ sich ohne Gegenwehr anziehen. Er hob sie hoch.
An der Haustür bemerkte er, dass es regnete. Zu allem Übel trug Annika noch immer ihre Rutschsocken.
»Annika, ich geh nur bis zum Auto und hole den Hund.« Er zeigte in Richtung des Volvos, der in der Schlange der parkenden Wagen nicht zu sehen war. »So, du bleibst jetzt hier stehen.« Er setzte das Kind ab. »Du kannst mir zusehen, wie ich zum Auto gehe, den Hund hole und wieder zu dir zurückkomme.« Er versuchte, jedes Wort deutlich zu betonen.
»Hast du verstanden?«
Annika nickte.
»Und du wartest hier?«
Sie nickte nochmals und lächelte ihn an.
Walde machte ein paar Schritte auf dem Bürgersteig und schaute sich um. Annika stand auf der Türschwelle und sah ihm nach.
»Gleich bin ich beim Auto«, rief er zurück, während er den Schlüssel suchte.
Der Hund lag auf dem Rücksitz. Zuerst dachte Walde, er würde schlafen. Etwas kam ihm verändert vor, als er die Tür zum Fond öffnete.
Das Licht einer Straßenlaterne fiel von vorn auf den Rücksitz und beleuchtete Quintus’ Kopf, der sich nun aufrichtete.
Jetzt wurde ihm klar, warum das Licht den Rücksitz beleuchtete. Die Kopfstütze des Beifahrersitzes fehlte.
Walde hakte die Hundeleine in den Verschluss am Halsband, noch bevor sich Quintus auf dem Sitz erhoben hatte. Draußen nahm er ihm die Kopfstütze aus dem Maul und warf sie auf den Rücksitz, ehe er die Tür zuknallte und sich von Quintus in Richtung des Hauses ziehen ließ, wo Annika in der Tür jauchzte.
»Annika, das ist ein ganz armer Hund. Er heißt Quintus.« Walde beobachtete skeptisch, wie der Hund an Annikas Beinen schnupperte, während sie mit beiden Händen in den Nacken des Hundes fasste. Walde hatte eine Hand am Halsband, um Quintus bei der kleinsten Feindseligkeit gegenüber dem Kind sofort zurückziehen zu können.
»Quintus, das ist meine Tochter Annika.«
»Armer Hund«, sagte Annika. Sie legte eine Hand auf den Rücken des Tieres, das sich wieder aufgerichtet hatte und in den Hausflur strebte. Das Kind versuchte mit ihm Schritt zu halten.
In der Wohnung klingelte das Telefon.
Quintus überholte Annika in der Tür zur Diele, wobei sein Schwanz in ihr Gesicht wedelte.
Als Walde das Telefon erreichte, war der Apparat verstummt. Kaum war er ein paar Schritte weg, klingelte es erneut.
»Bist du den Hund losgeworden?«, fragte Grabbe am anderen Ende der Leitung.
»Noch nicht ganz.« Walde ließ das Halsband los. Quintus lief durch die offene Tür in Annikas Zimmer. »Wie steht’s bei euch?« Mit dem Telefon am Ohr folgte er dem Hund.
»Frau Theis scheint ahnungslos zu sein«, berichtete Grabbe. »Sie war ziemlich fertig, nachdem sie ihren Mann identifiziert hatte. Gabi und ich haben den Eindruck, dass sie wirklich nichts gewusst hat.«
»Woher haben wir die Fingerabdrücke von diesem Theis?« Walde schaute ins Kinderzimmer. Annika saß Kopf an Kopf mit Quintus auf ihrem Lieblingsfell und streichelte den Malamute.
»Er war mal Ende der neunziger Jahre in eine Geschichte mit dem Landesmuseum verwickelt.«
»Der große Münzfund an der Schwesternklinik?« Walde erinnerte sich. Damals hatte sein Freund Jo dazu beigetragen, einen Fund von über zweitausend Goldmünzen zu bergen.
»Stimmt«, bestätigte Grabbe. »Übrigens hat der Tierarzt angerufen. Er würde sich gerne noch mal den Zwinger ansehen.«
»Hast du vielleicht seine Nummer?«, fragte Walde.
»Nein, soll ich sie raussuchen?«
»Lass es, danke, es ist schon spät, bis morgen.«
»Armer Hund wohnt jetzt bei mir«, sagte Annika
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