Fluchtpunkt Mosel
dass er nicht den Weg erkennen konnte. Quintus zog unbeirrt an der Leine.
*
»Fahr bitte langsamer«, bat Grabbe, als Gabi, wie immer etwas zu schnell, an den Reihenhäusern in der Straße neben dem Moselstadion vorbeifuhr. Er hielt nach den ungeraden Hausnummern Ausschau, die sich auf Gabis Seite befanden.
»Einunddreißig!«, rief er, »da vorn muss es sein.«
Das Haus mit der Nr. 37 hatte als einziges ein kleines Vordach über der Haustür. Die beiden Fenster neben der reichlich mit Weinmotiven verzierten Haustür waren von einem warmen Licht erleuchtet. Grabbe erinnerte sich, dass er eigentlich Feierabend hatte und schon gemütlich zu Hause im Sessel sitzen könnte.
Die Metallkonstruktion mit dem Glasdach über der Haustür passte nicht zum Einheitsambiente der Straße. Die übrigen Häuser waren in einem recht gepflegten Zustand, hatten sich aber das schlichte Flair einer kurz nach dem zweiten Weltkrieg errichteten Siedlung bewahrt.
Eine dunkelhaarige Frau öffnete die Tür.
»Sie sind Carola Theis?«, fragte Gabi und zeigte ihren Dienstausweis.
Die Frau nickte. »Ich bin das gewohnt«, sagte sie, als sie gemeinsam auf einer gediegenen Couchgarnitur Platz genommen hatten. »Seitdem das mit meinem Mann passiert ist, habe ich oft amtlichen Besuch bekommen, auch Polizei. Aber meistens waren es Leute von der Versicherung.«
Grabbe musste sich darauf konzentrieren, der Frau zuzuhören, so sehr lenkte ihn die Wohnungseinrichtung ab. In dem überraschend großen Wohnzimmer mit Essecke standen ringsum Vitrinen. Regale und Bilder waren vom Boden bis zur Decke angebracht und ließen kaum einen Zentimeter Wand frei. Über dem Esstisch hing ein schwerer Kronleuchter, dessen Glas im Licht der Birnen funkelte.
Aus dem gardinenlosen Fenster blickte Grabbe in einen schmalen von Lampen erhellten Garten. Hinter einer überdachten Terrasse ging es hinaus auf einen gepflegten Rasen mit Brunnen, Figuren, Säulen und einem gemauerten Grill.
»Das hat alles mein Mann zusammengetragen«, sagte Carola Theis, die Grabbes Interesse bemerkt hatte. »Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er unser Haus vom Keller bis zum Speicher in ein Museum verwandelt.«
Sie stand auf und trat zu einer der Vitrinen. Auf den Glasböden lagen Münzen und feine Metallteile. »Das sind Fibeln und römische Münzen. Die meisten davon hat mein Mann selbst gefunden. Dafür hat er eine Zeit lang jede freie Minute geopfert.«
»Sind die wertvoll?«, Grabbe war ihr zu der Vitrine gefolgt.
»Mein Mann hat einiges dem Landesmuseum überlassen müssen und auch einiges verkauft.«
»Was machen Sie beruflich?«, fragte Gabi.
»Ich arbeite in einem Steuerbüro als Steuerfachgehilfin.«
»Und was hat Ihr Mann gemacht?«
»Er war Heizungs- und Lüftungsbauer.«
»Wo?«
»Bei einer Trierer Firma. Die hatte meistens Aufträge von auswärts, viel in Luxemburg, auch im Osten und so.«
»Wir sind wegen Ihres Mannes gekommen, Frau Theis«, sagte Gabi von der Couch her.
»Warum?«
»Es gibt Hinweise, dass Ihr Mann erst kürzlich verstorben ist.«
»Wie bitte?« Carola Theis hielt beim Öffnen einer Keksdose inne.
»Wir müssen noch ein paar Fragen klären. Deshalb sind wir hier.«
»Mein Mann ist vor mehr als einem Jahr in Thailand umgekommen.«
»Das scheint nicht der Fall zu sein.«
Carola Theis nahm die offene Keksdose vom Tisch und klappte sie zu. »Aber er ist doch beerdigt worden. Ich war dabei.«
»Nach unseren Informationen war es eine Feier auf offener See für alle, die das Meer nicht mehr freigegeben hat«, sagte Gabi. »Es wurde nie ein Leichnam gefunden.«
»Es wurden so viele nicht mehr gefunden und sogar die Versicherung hat bezahlt.« Carola Theis’ Augen wurden glänzend. Sie nahm wieder die Keksdose, öffnete sie und hielt sie den beiden Besuchern hin. »Ich habe bis heute keinen Cent von dem Geld angerührt.«
»Darf ich fragen, um wie viel es dabei ging?« Grabbe nahm sich eine der gerollten Waffeln. Sie schmeckte wie ein Hörnchen in der Eisdiele, vielleicht eine Spur süßer.
»Eine Lebensversicherung über etwas mehr als fünfzigtausend Euro. Und die Rente wurde auch rückwirkend bezahlt.«
Grabbe klopfte sich Krümel von der Jacke. »Und Sie haben Ihren Mann danach nicht wieder getroffen, ich meine nach der Tsunami-Katastrophe?«
»Aber …«, die Frau stockte und schüttelte den Kopf, »wie kommen Sie … was soll diese Frage?« Wieder schien sie mit den Tränen zu kämpfen. »Ich verstehe überhaupt nicht, was Sie
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