Fluchtpunkt Mosel
einen Gefallen nennen, kenne ich unter dem Begriff Irreführung der Behörden. Ich musste meine Aussage unterschreiben.«
»Bei uns müssen Sie nichts unterschreiben. Es reicht, wenn Sie uns sagen, ob Theis nicht vielleicht erst gegen Mittag aufgetaucht ist. Sie sagten doch selbst, er sei sehr eigenwillig gewesen.«
Jungberg schüttelte den Kopf. »Nein, ich bleibe dabei, er war pünktlich da, um sieben Uhr, das steht auch im Protokoll. Da kann ich Ihnen leider nicht weiterhelfen.«
Walde hatte nur zugehört. Er fragte sich, warum das beim Opfer gefundene Mobiltelefon noch nicht ausgewertet war. Längst nicht alle Fäden liefen bei ihm zusammen. Er musste sich dringend einen Überblick über die gesamte Sachlage verschaffen.
Im Auto schaute Walde auf sein Mobiltelefon. Inzwischen hatte Jo angerufen.
»Glaubst du, der hat die Wahrheit gesagt?«, fragte Grabbe und ließ den Wagen an.
»Gut, dass du ihm deine Karte dagelassen hast.« Walde hatte schon die Rückruffunktion aktiviert und legte nochmals auf.
»Es war eine von deinen Karten, ich habe keine mehr«, sagte Grabbe. »Wie lange braucht man eigentlich mit dem Pkw von Trier nach Erfurt?«
»Bis Weimar habe ich es mal in vier Stunden geschafft. Ohne Stau.«
»Und Weimar liegt von hier aus gesehen hinter Erfurt.«
»Höchstens zwanzig Kilometer, schätze ich.« Walde hielt noch das Telefon in der Hand, um zurückzurufen.
»Und du hast die Geschwindigkeitsbeschränkungen eingehalten?«
»Doris und Annika waren dabei«, sagte Walde.
»Falls Theis einen Zahn zugelegt hatte, waren vielleicht dreieinhalb Stunden für einen Weg drin. Das macht für Hin- und Rückfahrt zusammen sieben Stunden.«
Walde bemerkte, wie eine gelbe Ampel auf Rot schaltete, ohne dass Grabbe den Fuß vom Gas nahm.
»Auch wenn er spät am Abend, sagen wir mal gegen zweiundzwanzig Uhr, losgefahren wäre, hätte er sich zwei Stunden lang in Trier aufhalten können und wäre bis sieben Uhr morgens locker wieder zurück gewesen.«
»Und wenn er früher losgefahren ist …« Walde unterbrach, weil das Telefon in seiner Hand klingelte.
»Hallo, ich bin’s.« Walde erkannte Jos Stimme. »Der Hund vermisst dich.«
»Und wie äußert sich das?«
»Zum Beispiel hat Quintus noch nichts gefressen, seitdem du weg bist.«
»Macht er einen geschwächten Eindruck?«, fragte Walde.
»Wie man’s nimmt, ich weiß ja nicht, wie fit er vorher war.«
»Gut, ich komme heute Abend mal vorbei.«
»Geht es nicht früher?«
»Wann?«
»Am liebsten gleich.« Jo hörte sich kleinlaut an. »Es gibt ein Problem.«
*
Walde ließ sich von Grabbe zu Hause absetzen und fuhr mit seinem eigenen Wagen nach Pfalzel. Mitten im Hof stand Maries Kangoo. Walde hatte Mühe, seinen Wagen zwischen den Säulen, Kapitellen und Balkenresten, die fast so zahlreich wie im Museumshof waren, zu parken.
Jo öffnete ihm die Tür, noch bevor er nach dem Türklopfer greifen konnte.
»Hast du heute Urlaub?«, fragte ihn Walde.
»Nein, nicht direkt.« Jo sprach für seine Verhältnisse ungewöhnlich leise.
»Wo ist er?«
»Wer?«
»Wer schon? Quintus.«
»Draußen.« So ernst hatte Walde seinen Freund das letzte Mal vor achtzehn Jahren erlebt, als er ihn mit Marie, deren Wehen im Minutentakt kamen, ins Krankenhaus gefahren hatte. Jo hatte bis heute noch keinen Führerschein und auch noch nie eine E-Mail verfasst. Moderne Technik fand sich im Haus lediglich in Philipps Zimmer.
»Aber komm erst mal mit hoch.« Jo stieg vor ihm die Holztreppe nach oben. Walde folgte ihm. Oben im Flur roch es durchdringend. Er war sich nicht sicher, ob es Parfüm, Duschzeug oder Putzmittel war.
Walde vermeinte ein leises Weinen zu hören, als er an der Tür von Maries Büro vorbeikam.
In der Küche war der Frühstückstisch gedeckt. Obwohl es auf Mittag zuging, schienen die drei Teller unbenutzt.
»Ihr habt noch nicht gefrühstückt?«, wunderte sich Walde.
»Keinen Appetit.« Jo schenkte sich ein großes Glas Wasser ein.
Walde betrachtete seinen Freund. Da war tatsächlich keine Spur von Ironie.
»Auch was?«, Jo deutete auf sein Glas, »oder einen Kaffee?«
»Was ist passiert?« Walde blickte aus dem Fenster in den Garten. Er brauchte eine Weile, bis er Quintus, der unter einer Lorbeerhecke lag, entdeckte. Der Hund schien zu schlafen. Im Garten waren keine Anzeichen von Zerstörungen zu entdecken. Auch in den über Winter gemulchten Beeten schien nicht gegraben worden zu sein.
»Philipp hat den Hund heute Nacht ins Haus
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