Fluchtpunkt Mosel
spektakulären antiken Goldfund gemacht.
Vor der Haustür wurden laut Schuhe abgeklopft. Grabbe kam mit dem Tierarzt zurück.
»Die sind gar nicht verhungert, und es sind auch keine Huskys, sagt Dr. Rupprath, mit th.« Grabbe hörte sich wie ein Musterschüler beim Stundenprotokoll an. »Und verdurstet sind sie auch nicht, Polarhunde fressen Schnee.«
Der Tierarzt stand hinter ihm, ohne ein Wort zu sagen. Er trug bis über die Knöchel reichende Schuhe, an denen der Schnee kaum Spuren hinterlassen hatte, dicke Lederhandschuhe und eine kleine Sonnenbrille mit kreisrunden Gläsern.
»Kennen Sie Dr. Quintus, müsste ein Kollege sein?«, wandte sich Walde an den Mann.
»Nee.« Der Tierarzt schüttelte den Kopf, wobei sein im Nacken zusammengebundenes Haar aus dem Kragen rutschte. »Ich bin erst seit drei Monaten in Trier.«
»Und die Hunde da draußen?« Walde überlegte, ob der junge Mann überhaupt schon Tierarzt sein konnte. Am liebsten hätte er von ihm verlangt, sich auszuweisen.
»Nee.«
Sein Mitteilungsbedürfnis schien nicht sehr groß.
»Woran denken Sie, sind die Huskys verendet?«
»Es sind Alaskan Malamuts. Die sind deutlich größer als Huskys. Ich bin sicher, dass sie vergiftet wurden.«
»Und wie kommen Sie darauf?«
»Es ist unwahrscheinlich, dass vier Hunde gleichzeitig an einer Krankheit sterben. Die Tiere waren noch keine zwei Jahre alt, gut im Futter, und es muss schnell gegangen sein. Ich schaue sie mir nachher mal näher an.«
»Wollen Sie die Hunde mitnehmen?«
»Nee, sofern sich noch was finden lässt, lasse ich von einem der Malamuts eine Magenprobe untersuchen. Für die anderen bestelle ich die Tierkörperbeseitigung.«
»Und Sie kennen keinen Dr. Quintus?«, fragte Walde abermals.
»Nee.« Der Tierarzt schüttelte den Kopf, wobei ihm sein rotes, lockiges Haar erneut aus dem Kragen rutschte.
Nachdem das Haus versiegelt worden war, ließ sich Grabbe von Schäfer, der sich in seinem Wagen bei laufendem Motor aufwärmte, die Telefonnummer des Hausvermieters geben.
Auf der Heimfahrt schaltete Walde die Heizung auf Hochtouren. Er hatte keinerlei Gefühl mehr in den Zehen.
Neben ihm wärmte Grabbe sich die Hände an der warmen Lüftung. Als sie die Autobahn Richtung Trier erreichten, telefonierte Grabbe mit Gabi im Polizeipräsidium und gab ihr die Führerscheindaten des Opfers durch. Anschließend sprach er mit dem Hausvermieter. Walde beschleunigte den Wagen erst deutlich über Tempo Hundert, als Grabbe aufgelegt hatte.
»Dieser Mendig wohnte seit einem knappen Jahr in dem Haus«, berichtete Grabbe. »Der Vermieter hat jeden Monat die Miete in bar erhalten. Er ist außer Gesprächen übers Wetter nicht an den Mann herangekommen. Mendig soll ab und zu ins Maar schwimmen gegangen sein, mehr weiß er nicht.«
»In welches Maar? Dauner-, Schalkenmehrener-, Pulver, Holzmaar, Totes Maar?«
»Du kennst dich ja gut aus.«
»Erdkunde, sechste Klasse.«
»Du warst bestimmt ein guter Schüler«, sagte Grabbe. »Ich frage noch einmal nach, wenn du möchtest.«
»Bitte.«
Sechste Klasse. Er dachte an alte Schulzeiten, als am Gymnasium die Klassen bis zum Abitur noch auf antiquierte Weise rückwärts gezählt wurden: Auf die Sexta folgte die Quinta, dann die Quarta, und so weiter.
Die Autobahn führte steil in einer lang gezogenen Kurve den Berg hinunter. Auf der Instrumententafel wurde die Außentemperatur mit Minus zwei Grad Celsius angezeigt. Stellenweise war der Autobahnbelag dunkel vom Tauwasser, das aus den am Rand aufgeschichteten Schneehügeln gelaufen war.
Auf der langen Geraden hinunter in die Wittlicher Senke entspannte sich Walde und dachte wieder an die Zahlenfolge Sexta, Quinta, Quarta – sechste, fünfte, vierte … Quinta … Quintus.
Er setzte den Blinker und fuhr die Ausfahrt Wittlich an.
»Wo willst du hin?«, fragte Grabbe.
»Zurück.«
»Zurück, wohin?«
»Nach Steineberg. Es ist nur eine Vermutung, aber es könnte einen fünften Hund geben«, versuchte Walde dem Kollegen seine Beweggründe zu schildern, »und die Spuren im Schnee, vielleicht stammen die von einem Hund.«
»Wie kommst du darauf?«
»Eben, die Sache mit der Heimatkunde und den Klassen.« Walde bemerkte, dass die Erklärung unmöglich zu verstehen war. »Also Quinta, das war die fünfte Klasse und Quintus, so hieß vielleicht einer der Hunde. Und wenn das so ist, müssten es eigentlich fünf gewesen sein.«
Zehn Minuten später schlitterten sie über den Feldweg, der aus dem
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